Homepage Hans-Jürgen Gäbel   Weblog   - 65 -
Startseite / Inhaltsverzeichnis / Vorige Seite / Nächste Seite
Fortsetzung Mittwoch, der 15. Juli 2015
 

Als ich am Montag im Laufe des Vormittags Phoenix einschaltete, sah ich Angela Merkel - wie immer tapfer Fassung und Haltung wahrend. Es war eine Pressekonferenz zur gerade erzielten Einigung über ein drittes Hilfspaket für Griechenland. Traurige kleine Dackelaugen, umrandet von breiten Ringen, schauten verhangen, müde, erschöpft, gequält aus einem zerknautschten Dackelgesicht und hervor unter einem zotteligen Mopp von einer Pilzkopffrisur auf die Journalistenmeute. Ein Anblick - ich mußte lachen.
Die Sache, um die es ging, war weniger zum Lachen. Alexis Tsipras und Griechenland waren umgedreht und in die Knie gezwungen worden.
Dem Frieden in Europa wurde am Sonntag/Montag (12./13. Juli) in Brüssel nicht gedient, es wurde nur böses Blut geschaffen - zwischen den Völkern, zwischen den Völkern und ihren Staatsklassen, zwischen den Staatsklassen. Die "Einigung" hat etwas ziemlich Irreales, weil die Gegenstände des Gebens und Nehmens etwas ziemlich Irreales haben. Die "Reformen", die Griechenland "zugesagt" hat, haben etwas Irreales, und das "Geld", mit dem Griechenland "geholfen" wird, hat auch etwas Irreales.
Warum? Weil der Geist, der die "Einigung" erzeugt hat, der Geist des Sozialdemokratismus, etwas Irreales hat. Der Geist des Sozialdemokratismus ist nun mal der Geist der Realitätsverweigerung, der Geist jeder Art von Sozialismus, der Geist der Erhebung/Überhebung des Menschen über die Natur.
Am griechischen Volk wird ein Verbrechen begangen. Die Hauptverantwortung dafür tragen die Staatsklassen Frankreichs und Deutschlands. Frankreich und Deutschland sind die ideologischen Hauptinspiratoren des Euro-Systems, beide sozialdemokratisch, wenn auch von unterschiedlichen historischen Ausgangspunkten her, aber gemeinschaftlich dafür sorgend, daß Europa mit dem EU/Euro-Gebilde innerhalb des Westens einen falschen und schädlichen Sonderweg geht. Letztlich den Weg der französischen Lesart der westlichen Zivilisation.
Das Traurige ist, daß in Europa das Sozialdemokraten-Pack der deutschen Staatsklasse die Schmutzarbeit für das Sozialdemokraten-Pack der französischen Staatsklasse übernimmt, so ähnlich wie in Deutschland die Konservativen die Schmutzarbeit für das original-genetische Sozialdemokraten-Pack übernimmt.
Die Schöpfer einer Währungsunion - und was den Euro betrifft sind das in erster Linie Frankreich und Deutschland - tragen mit dieser Schöpfung eine Verantwortung. Nämlich die Verantwortung dafür, daß die Währungsunion funktioniert, und das heißt, daß die Menschen in dieser Währungsunion unter menschenwürdigen Bedingungen leben können. Zu dieser Verantwortung gehört, daß neue Mitglieder nur dann aufgenommen werden dürfen, wenn die Menschenwürdigkeit der Lebensbedingungen für die alten und die neuen Mitglieder sichergestellt ist. Ein neues Mitglied darf bei seinem Beitritt auf die Gültigkeit dieser Selbstverständlichkeit vertrauen.
Im Falle Griechenlands haben die alten Mitglieder dieses Vertrauen gebrochen. Man kann nicht mehr behaupten, daß das griechische Volk unter menschenwürdigen Bedingungen lebt. Griechenland wird durch die Machthaber des Euro-Systems willkürlich-gewaltsam in Not und Elend gestürzt. Not und Elend in Griechenland sind nicht in erster Linie bedingt durch die vergleichsweise geringe wirtschaftliche Leistungskraft des Landes, sie sind das Ergebnis einer Straf- und Racheaktion gegen Griechenland, die in der moralischen Schwäche der Machthaber des Euro-Systems begründet ist.
Kein kollektives System hat das Recht, einem Mitglied den Vertrauensschutz zu entziehen, der ihm mit seiner Zugehörigkeit zu dem System zusteht. Der Vertrauensschutz hat solange Gültigkeit, wie die Mitgliedschft besteht. Eine einzelne Mitgliedschaft kann nicht von den übrigen Mitgliedern einseitig auf eine andere, schwer nachteilige Grundlage gestellt werden. Wenn die Mitgliedschaft beendet werden soll, kann das allenfalls auf eine für das ausscheidende Mitglied tragfähige, ordnungsgemäße und menschenwürdige Weise geschehen.
Die wirtschaftliche Aggression und der wirtschaftliche Terror gegen Griechenland ist zu erklären mit der Erkenntnis des eigenen Versagens auf seiten der Verantwortlichen des Euro-Systems. Man glaubt von diesem Versagen dadurch ablenken zu können, daß die Schuld für das Nicht-Funktionieren der Währungsunion allein auf Griechenland geschoben wird. Griechenland wird zum Sündenbock für die eigene Unfähigkeit gemacht, und zur Scheinlösung des Problems wird das Land unter "Reform"-Kuratel gestellt. Jedes autoritäre System - und das sozialdemokratische ist ein solches - hat solche Probleme, die aus seinem Konflikt mit der Realität herrühren, und es ist darüber prinzipiell immer auch kriminell, besonders wenn es in den letzten Zügen liegt.
Die Machthaber des Euro-Systems haben Herrschaftsabsichten, sonst hätten sie Griechenland nicht in den Euro aufgenommen bzw. schon längst ein ehrenhaftes, menschenwürdiges Ausscheiden aus dem Euro angeboten. Die Welt muß Schlüsse ziehen aus dem Umgang des EU/Euro-Systems mit Griechenland, besonders die Vereinigten Staaten als Führungsmacht müssen politische Schlüsse ziehen. Der Herrschaftswille des EU/Euro-Systems ist absolut und unerbittlich.
Die Staatsklassen Frankreichs und Preußens haben historische Erfahrung in der Kunst, die schönen Blendwerke ihrer kollektivistischen Philosophie mit den Häßlichkeiten der Macht in Einklang zu bringen. Der wahre Westen zieht seine Legitimation aber nicht daraus, andere Menschen zu ihrem Glück zu zwingen und damit faktisch über sie zu herrschen. Der wahre Westen respektiert die Menschen wie sie sind. Der wahre Westen schafft keine neuen Menschen, er hat keine Soll-Vorstellung von den Menschen.
Kein Europäer braucht die Bevormundung durch das Sozialdemokraten-Pack der französischen und deutschen Staatsklasse. Die Europäer brauchen keine "Modernisierung" nach den Vorstellungen von Paris/Berlin. Sie brauchen kein Wachstum. Sie brauchen keine Wettbewerbsfähigkeit. Sie brauchen überhaupt kein Paris/Berlin. Die Europäer brauchen Schutz gegen Paris/Berlin. Sie brauchen Freiheit von Paris/Berlin.
Wir müssen unterscheiden zwischen dem Staatseuropa und dem wahren Europa der Menschen. Das sozialdemokratische Europa ist nicht das wahre Europa. Das sozialdemokratische Europa ist ein Europa der zerstörten Moral, ein Europa der gebrochenen Charaktere und der vergifteten Seelen. Der politische Zustand Europas ist nicht haltbar. Das sozialdemokratische Europa muß abgewickelt werden.


Freitag, der 17. Juli 2015
 
► Aus der heutigen (Freitag, 17. Juli 2015) Rede der BRD-Kanzlerin Angela Merkel vor dem Deutschen Bundestag (www.bundestag.de/dokumente/):
 Anfang Längeres Zitat  Meine Damen und Herren, es ist offenkundig: Das Ergebnis [des griechischen Referendums vom 5. Juli] war ein Scherbenhaufen. Mit ihm war zwischen Griechenland und den anderen Mitgliedern in der Euro-Gruppe die wichtigste Währung des Miteinanders, auch des Miteinanders von Staaten, verloren gegangen: Verlässlichkeit und in der Konsequenz Vertrauen. Jetzt stellte sich nur noch die Frage: Ist das irreparabel? Wichtiger noch: Was können wir tun? Drei Möglichkeiten standen zur Wahl:
Erstens. Wir biegen unsere Verträge und Regeln so weit, bis sie nichts mehr wert sind. Das wäre der Fall gewesen, wenn wir den Weg, den wir seit 2010 beharrlich verfolgen, einfach freigemacht hätten, wenn wir ihn verlassen hätten
(Zuruf von der LINKEN: Habt ihr doch!)
und an seine Stelle die Schulden- und Transferunion setzen würden - völlig egal, ob die europäischen Verträge einen Schuldenschnitt, einen Haircut, verbieten oder nicht, völlig egal auch, was uns die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aufträgt. Ein solches Vorgehen wäre das Ende der Rechtsgemeinschaft Europa, und es ist deshalb mit uns nicht zu machen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Zweitens. Wir geben auf und unternehmen nicht noch einen letzten Versuch, die Differenzen mit Griechenland zu überwinden, sondern wir sehen zu, bis das Land gleichsam ausblutet, die Menschen nicht mehr an ihr Geld kommen. Chaos und Gewalt könnten die Folgen sein. Ein solches Vorgehen wäre das Ende der Verantwortungsgemeinschaft Europa. Es ist mit uns nicht zu machen. Es ist im Übrigen von der gesamten Bundesregierung genauso gesehen worden: Das ist mit uns nicht zu machen, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD - Zuruf von der LINKEN: Ach nee!)
Dieser Weg ist im Übrigen klar zu unterscheiden von dem Weg einer sogenannten Auszeit, die man überhaupt nicht gegen Griechenland entscheiden kann, sondern nur mit Griechenland und im Übrigen allen 18 anderen Mitgliedern. Beides war nicht der Fall: Weder waren alle 18 anderen dazu bereit, noch war Griechenland dazu bereit. Deshalb war dieser Weg nicht gangbar.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD - Zurufe von der LINKEN)
Drittens. Wir unternehmen einen letzten Versuch, in harten, zähen Beratungen herauszufinden, ob nicht doch noch gemeinsam in der Euro-Gruppe mit allen 19 Mitgliedern - trotz aller Rückschläge der letzten sechs Monate und trotz aller mehr als berechtigten Skepsis - die Voraussetzungen dafür geschaffen werden können, dem inzwischen gestellten Antrag des Landes für ein Hilfsprogramm unter dem Dach des ESM zu entsprechen, und zwar nicht um jeden Preis, sondern auf der Grundlage und im Rahmen der europäischen Verträge wie auch des damit untrennbar verbundenen Konzepts von nationaler Eigenverantwortung und europäischer Solidarität. Für diesen Weg hat sich die Bundesregierung entschieden. Es war das Bemühen, das uns angetrieben hat, gemeinsam mit Griechenland einen Weg aus der Sackgasse zu finden.  Ende Längeres Zitat 
► Aus einem "faz.net"-Kommentar von Berthold Kohler mit der Überschrift "Griechenland-Abstimmung / Deutsche Verhältnisse" :
 Anfang Längeres Zitat  Merkel hält in der Griechenland-Krise an der einzigen Linie fest, die sowohl in der Eurogruppe als auch in ihrer Koalition kompromissfähig und durchsetzbar war. Viele Sozialdemokraten legen den Begriff internationale Solidarität immer noch deutlich weiter aus als der niedersächsische Mittelständler oder die schwäbische Hausfrau. Der „bad cop“ Schäuble aber brachte mit seiner Grexit-Drohung nicht nur Athen dazu, schärferen Bedingungen zuzustimmen, sondern auch die SPD, sich sogar geschlossener hinter Merkel zu versammeln als deren eigene Partei. Im Bundestag bekam er für seine Härte von der Union minutenlangen Applaus. So stark wie jetzt war seine Stellung in der CDU schon lange nicht mehr.
Schäuble kann es sich daher auch leisten, viel deutlicher als Merkel erkennen zu lassen, wie sehr ihn inzwischen der Zweifel plagt, dass den Griechen auf diesem Weg noch zu helfen sei. Oder soll auch das vor allem dem Ziel dienen, den Druck hoch zu halten? ...  Ende Längeres Zitat 

Es war nicht die staatliche Wiedervereinigung Deutschlands und der Zusammenbruch des kommunistischen Ostblocks, mit der/dem die Nachkriegszeit zu Ende ging. Wirklich zu Ende sein wird die Nachkriegszeit erst, wenn in Europa das Sozialdemokraten-Pack nichts mehr zu sagen hat - besonders in Paris und in Berlin.
Das verdammte 20. Jahrhundert hat eine Menge Unheil über Europa und die Welt gebracht, leider auch - als Ergebnis und Folge der deutschen Nazi-Herrschaft - die Legitimierung des Sozialdemokratismus als demokratische Bewegung und in den letzten 40-50 Jahren sogar den Aufstieg des Sozialdemokratismus als hegemoniale politische Ideologie Europas.
So ist Europa ins 21. Jahrhundert gegangen, aber so kann Europa nicht weitermachen. Der Schrecken und das extreme staatliche Verbrechertum des 20. Jahrhunderts hat uns aus dem Blick geraten lassen, wie verkommen und bösartig auch der Sozialdemokratismus auf seine ganz eigentümliche Weise ist. Der militärische Terrorismus Rußlands gegen die Ukraine und der wirtschaftliche Terrorismus des EU/Euro-Systems gegen Griechenland bringen uns das erst wieder langsam zu Bewußtsein. Es ist daher im 21. Jahrhundert unsere vordringliche Aufgabe, dem Sozialdemokratismus als politisch akzeptiertes Konzept die Tür zu weisen, die Nachkriegszeit zu beenden, das 20. Jahrhundert zu beenden und in Europa das Zeitalter freier souveräner Nationen mit sich demokratisch nach den Prinzipien des Rechts selbst-regierenden Völkern einzuläuten.
Griechenland ist auf ziemlich verlorenem Posten gegen die Propaganda-Übermacht des EU/Euro-Systems, das heute den Stab über das Land bricht. Aber die Urteile der EU/Euro-Propaganda sind nicht maßgeblich. Sie sind falsch.
Das heutige Griechenland ist eher ein Ergebnis der sozialdemokratischen Hegemonie in Europa als daß es in seinen eigenen griechischen Traditionen zurückgeblieben wäre. Das heutige Griechenland ist ein Griechenland wie es sich an die politisch-ökonomischen Bedingungen der sozialdemokratischen Hegemonie in den letzten 40-50 Jahren angepaßt hat.
Die wirkliche Frage ist: Wie sähen Staat, Gesellschaft und Wirtschaft in Griechenland aus, wenn Europa in den letzten 40-50 Jahren nicht unter unter sozialdemokratischer Hegemonie gestanden hätte? Die Antwort auf diese Frage wäre natürlich spekulativ. Was mich betrifft, so würde ich keineswegs ausschließen, daß Staat und Wirtschaft Griechenlands in einer deutlich besseren Verfassung wären als viele andere Länder, wenn die europäische politische Kultur durch Freiheit, Demokratie und Recht gekennzeichnet wären. Manchem Volk - ebenso wie manchem Individuum - widerstrebt es womöglich einfach, sich auf die sozialdemokratische "politische Kultur" einzulassen und sich mit ihr gemein zu machen.
Welches zivilisatorische Potential in den Völkern Europas wirklich steckt, wissen wir erst, wenn die Völker von der sozialdemokratischen Herrschaft befreit sind und sie in einem fairen Handel und Wandel unter den Bedingungen von Freiheit, Demokratie und Recht miteinander verkehren.
Ein isolierter Austritt Griechenlands aus dem Euro ("Grexit") ist unbedingt zu befürworten - wenn es richtig angepackt wird. Richtig heißt konsequent. Ein vorübergehender Austritt mit der erklärten Hoffnung, zu einem späteren Zeitpunkt unter günstigeren Vorzeichen wieder zurückzukehren, wäre in jeder Hinsicht falsch. Vielmehr muß eine Rückkehr kategorisch ausgeschlossen werden. Die wirtschaftlichen Entscheidungsträger in aller Welt müssen absolut sicher sein, daß Griechenland jeder Art von sozialdemokratischer Experimentiererei politisch und ökonomisch ein für allemal abgeschworen hat.
Wir wissen nicht, welcher Gedanke das griechische Volk leitet, wenn es sich in einer Meinungsumfrage für den Verbleib im Euro ausspricht (mal abgesehen von der Frage, wieweit die Meinungsumfrage manipuliert ist). Tatsache ist, daß die Griechen wirtschaftlichem Terror ausgesetzt sind und sich in einer nationalen Notwehrsituation befinden. Und verständlich ist, wenn sie jeden Strohhalm ergreifen, um zu überleben. Vielleicht sollte man die Griechen mal fragen, ob ihnen der Euro auch dann noch so lieb wäre, wenn sie die Garantie hätten, in Ruhe und Frieden ihren Geschäften nachgehen zu können, ohne vom Euro-System wirtschaftlich terrorisiert zu werden.
Als Drohung von seiten des Euro-Systems war der "Grexit" nie geeignet, er ist heute dazu nicht geeignet und wird auch morgen nicht dazu geeignet sein. Die Idee ist dumm, unglaubwürdig und undurchführbar. Die Euro-Herrschaften hatten immer nur eine Drohung, haben immer nur eine Drohung und werden immer nur eine Drohung haben: den wirtschaftlichen Terror.
Schäubles Gefasel von einem vorübergehenden "Grexit" ist nur auf die Verbiesterung eines "Strategen" ohne Plan zurückzuführen. In der Sache bewegt er damit nichts. Er macht sich nur unbeliebt, weil alle spüren, daß er drohen will.
Ein zeitweiliges Ausscheidens Griechenlands aus dem Euro ist erstens ein Ding der praktischen Unmöglichkeit. Zweitens wäre es das garantierte Ende des EU/Euro-Abenteuers.


Samstag, der 18. Juli 2015
 
Post von der Rentenversicherung: Schreiben betreffend "Rentenanpassung zum 01.07.2015"

Mittwoch, der 22. Juli 2015
 
► Aus einem "faz.net"-Artikel von Ralph Bollmann mit der Überschrift "Wolfgang Schäuble / Hassfigur" (Sonntag, 19. Juli 2015):
 Anfang Längeres Zitat  17 Mal nahm der Minister im letzten halben Jahr an Sitzungen der Eurogruppe zu Griechenland teil, allein 9 Mal in der Zeit seit Mitte Juni. Trotzdem geht es um mehr als um persönlichen Frust. Auf dem Spiel steht für Schäuble die Vollendung seines politischen Lebenswerks. Ein neues Hilfspaket für Griechenland, das sich spätestens nach drei Jahren abermals als gescheitert erweist, bedroht aus seiner Sicht die Eurozone als Ganzes.
Aber wohl nicht nur deshalb insistiert er so beharrlich auf der Grexit-Option. Sie könnte für ihn auch das Mittel sein zu einem größeren Zweck. Der Schock, den ein Grexit auslösen würde, käme ihm nicht ungelegen. Gern zitiert er den Satz des Briten Winston Churchill: „Verschwende nie eine Krise. Sie gibt uns die Gelegenheit, Großes zu tun.“ Und für die Pläne, die Schäuble als sein Vermächtnis ansieht, böte ein Ausscheiden Griechenlands aus der Währungsunion eben dies: die lange erhoffte Chance.
Um ein Übergreifen des Schocks zu verhindern, müsste der Euroraum ein Signal des Zusammenrückens setzen, am besten mit einer gemeinsamen Wirtschaftsregierung. Bei einem Scheitern der Griechenland-Gespräche hätte es schon am vorigen Wochenende so weit sein können ...
... Dem Juristen Schäuble geht es nicht um freie Bahn für den Markt, es geht ihm um Regeln ...
Schäuble ist ein „Staatsfreund“, wie es Bundespräsident Joachim Gauck zum 70. Geburtstag des Finanzministers lobend formulierte. So war es schon, als er 1990 im Auftrag Helmut Kohls den deutsch-deutschen Einigungsvertrag aushandelte. So war es in seiner Zeit als Innenminister. Mit ähnlicher Lust wie jetzt auf dem Grexit beharrte er darauf, die Deutschen auf Terrorgefahren einzustimmen. Über das gezielte Töten von Attentätern sprach er und über die vorsorgliche Inhaftierung von Gefährdern. Schon damals wurde er in den sozialen Medien zum Feindbild.
Es geht ihm um Regeln und Institutionen, die unabhängig von wechselnden Regierungen und nächtlichen Krisentreffen funktionieren ...
Schäuble ist ein „Staatsfreund“, wie es Bundespräsident Joachim Gauck zum 70. Geburtstag des Finanzministers lobend formulierte. So war es schon, als er 1990 im Auftrag Helmut Kohls den deutsch-deutschen Einigungsvertrag aushandelte. So war es in seiner Zeit als Innenminister. Mit ähnlicher Lust wie jetzt auf dem Grexit beharrte er darauf, die Deutschen auf Terrorgefahren einzustimmen. Über das gezielte Töten von Attentätern sprach er und über die vorsorgliche Inhaftierung von Gefährdern. Schon damals wurde er in den sozialen Medien zum Feindbild.
Es geht ihm um Regeln und Institutionen, die unabhängig von wechselnden Regierungen und nächtlichen Krisentreffen funktionieren ...  Ende Längeres Zitat 
► Aus einem "faz.net"-Artikel von Mark Siemons mit der Überschrift "Griechenland-Politik / Der blinde Fleck der deutschen Weltoffenheit" (Sonntag, 19. Juli 2015):
 Anfang Längeres Zitat  [Der ehemalige griechische Finanzminister] Varoufakis stellt es so dar, dass sein eigenes Auftreten in dieser Runde [Finanzminister der Eurogruppe] wie das eines Außerirdischen aufgenommen worden sei ... „Es gab noch nicht einmal Ärger, es war einfach so, als ob man nichts gesagt hätte.“ Wenn man dem Bericht trauen kann, dann sind bei diesen Sitzungen zwei unterschiedliche Rationalitäten nicht aufeinandergestoßen, sondern in weitem Abstand aneinander vorbeigesegelt. Die Rationalität, der Schäuble die einflussreichste und präziseste Stimme gab, die in den Gremien aber auch sonst bestimmend war, ist die der Regelbefolgung, unterlegt noch mit moralischen Untertönen: Schulden gehören zurückgezahlt, und wenn wir uns nicht an die Gesetze und Verträge halten, auf die wir uns in Europa geeinigt haben, dann bricht die ganze gemeinsame Konstruktion ohnehin in sich zusammen.
Über die Schwächen dieser Argumentation ist in den letzten Wochen viel gesprochen worden: Griechenland wird die Schulden realistischerweise nie zurückzahlen können; die rigiden Sparauflagen erzeugen nicht nur eine soziale Katastrophe, sie drohen auch jeden ökonomischen Aufschwung im Keim zu verhindern; darüber hinaus schränken sie die demokratische Souveränität des Landes ein und stellen mit den inneren Turbulenzen, die sie verschärfen, ein geopolitisches Risiko dar. Trotzdem hatte die alternative Rationalität, die auf eine Erweiterung der Regeln hinausläuft, in den Gremien bisher keine Chance: weder die Pläne eines New Deals inklusive eines Schuldenschnitts für Griechenland noch die Überlegungen zu einer Neukonstruktion Europas mit einer gemeinsamen Wirtschaftsverwaltung. Von der Regelbefolgungsrationalität ging vielmehr offenbar ein so großer Regularitäts-Appeal aus, dass alle davon abweichenden Vorstellungen den Rahmen des Denkbaren sprengten und daher noch nicht einmal als solche wahrgenommen wurden.  Ende Längeres Zitat 
► Aus einem "tagesspiegel.de"-Artikel von Christoph von Marschall mit der Überschrift "Griechenland / Ursache der Eurokrise ist der Bruch der Regeln" (Sonntag, 19. Juli 2015):
 Anfang Längeres Zitat  Das neue Rettungspaket für Griechenland hält fürs Erste die Eurozone und das deutsch-französische Duo zusammen. Nur: wie lange noch? In vielen Euroländern löst es emotionale Abwehrreflexe aus, weil sie an den Erfolg nicht glauben und nur mit zusammengebissenen Zähnen zustimmen. Wenn sich in Griechenland keine Besserung einstellt, ist es nur eine Frage der Zeit, bis einer dieser Staaten sich dem enormen Druck zur Einstimmigkeit nicht mehr beugt und offen gegen weitere Hilfe stimmt, von Finnland über die Slowakei und die Baltischen Staaten bis zu den Niederlanden. Alle diese neuen Dynamiken werden internationale Folgen haben, über die heute niemand redet. Es werden nicht nur die erwünschten sein.
... Es wäre zu wünschen, dass der dritte Anlauf zur Rettung endlich funktioniert, dass auch hier Chancen und Risiken rigoros abgewogen wurden. In den öffentlichen Debatten triumphieren freilich immer noch Wunschbilder über die Wirklichkeit und Emotionen über logisches Denken. Ideologien überlagern Wirtschaftsdaten, Hinweise auf rechtlich vorgeschriebene Verfahren werden mit Polemiken beantwortet, als könne man damit ihre Bindekraft aushebeln.
In fünf Phasen der Trauer teilt die amerikanische Sterbeforscherin Elisabeth Kübler-Ross den Abschied von einem geliebten Menschen ein: Nicht-Wahrhaben-Wollen, Zorn und Ärger, Verhandeln, Depression, Akzeptanz. Sie gelten womöglich auch für den Abschied von einer liebgewonnenen Idee: dass die Eurozone funktionieren könne, weil alle sich freiwillig an die Regeln halten, ohne Sanktion. Und dass man nun, obwohl das nicht gut gegangen ist, mit einer Mischung aus gutem Zureden, Druck und Solidarität zum gewünschten Idealzustand zurückkehren könne ...
In der Griechenlandkrise drücken sich das Nicht-Wahrhaben-Wollen und der Zorn in Lagebeschreibungen aus, die ein klares, nicht von Trauer umflortes Auge als Zerrbild erkennen würde ...
... Rechtsbruch ist der Hauptgrund, warum der Euro in der Krise und Griechenland in der Notlage ist. Die Regeln, die sich die Mitglieder zum Schutz der Währungsstabilität und zur Sicherung der Finanzdisziplin gegeben haben, wurden missachtet. Deutschland und Frankreich, das ist die traurige Wahrheit, waren die ersten Sünder, als sie die Maastricht-Kriterien brachen und straffreie Absolution durchsetzten. Wenn aber Rechtsbruch und Mogelei die Ursünde dieser Krise sind, müsste die rationale Konsequenz zwingend lauten, sie nicht mehr zu tolerieren ...
Die Verantwortlichen in der Eurozone tun das Gegenteil. In ihrem Bemühen, Griechenland im Euro zu halten, verstoßen sie gegen grundlegende Bestimmungen der Demokratie und des Rechtsstaats wie die Regeln für Volksabstimmungen und Gesetzgebungsverfahren. Im Bundestag muss ein Gesetzesentwurf in Ausschüssen beraten und in drei Lesungen debattiert werden. Das dauert Wochen. Erst dann darf abgestimmt werden. Das griechische Parlament musste jetzt binnen 72 Stunden ein Reformpaket verabschieden, das die Bürger stärker als andere Gesetze trifft – ohne mehrfache Lesung, ohne öffentliche Debatte.
Zwei Wochen zuvor hatte die Regierung Tsipras ein Referendum angesetzt, ohne die Mindestanforderungen, wie sie zum Beispiel der Europarat festgeschrieben hat, zu beachten. Danach hätte die Fragestellung den Bürgern mindestens zwei Wochen vor der Abstimmung vorliegen und allgemein verständlich formuliert sein müssen. Befürworter und Gegner müssen faire Chancen haben, für ihre Haltung zu werben. Nichts davon galt ...
Es kam noch schlimmer: Eine Woche nachdem das Volk in angeblich demokratischer Willensbildung mit gut 60 Prozent die geforderten Einschnitte abgelehnt hatte, unterschrieb Tsipras ein noch schärferes Reformpaket und ließ das Parlament abstimmen, ohne die Bürger erneut zu befragen ... Das ist demokratisches Absurdistan ...  Ende Längeres Zitat 
► Aus einem "faz.net"-Bericht mit der Überschrift "Koalitionsstreit / SPD attackiert Schäuble wegen Rücktrittsdrohung" (Montag, 20. Juli 2015):
 Anfang Längeres Zitat  Rückendeckung im Streit mit der SPD über seinen Vorschlag eines Grexit auf Zeit bekommt Schäuble vom Vorsitzenden der christdemokratischen EVP-Fraktion im Europarlament, Manfred Weber (CSU). Dieser forderte in der „SZ“, „anstatt auf Finanzminister Schäuble einzuhacken, der für einen stabilen Euro kämpft, sollte sich SPD-Chef Gabriel lieber seine Parteifreunde in Paris zur Brust nehmen“. Das Beispiel Griechenland zeige, dass „das strikte Einhalten der Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts kein Selbstzweck“ sei. Ohne Regeln, ihre Einhaltung und Kontrolle hätte Europa „keine gute Zukunft“, mahnte Weber. Dass es die europäischen Sozialisten damit trotzdem nicht so genau nähmen, zeige Frankreich. Die sozialistische Regierung in Paris sei „übersäumig, die geforderten Spar- und Reformauflagen zu erfüllen“. Europa dürfe aber „auch bei einem großen Land nicht wegschauen, wenn es Regeln bricht“.  Ende Längeres Zitat 

Was für eine lächerliche Legende: Schäuble als oberster Hüter und Verfechter der "Regelbefolgungsrationalität", dem das ganze Rudel der Euro-Finanzminister in seiner regeltreuen Haltung gegenüber Griechenland folgt.
Die Wahrheit ist: Die sozialdemokratische Herrschaft in Europa ist eine Ausgeburt des Parteienstaats; der Euro ist eine Ausgeburt des Parteienstaats; Herr Schäuble ist eine Ausgeburt des Parteienstaats.
Der Parteienstaat ist die Negation der Regelhaftigkeit.
Ergo: Die sozialdemokratische Herrschaft, der Euro, Schäuble - nichts von alledem ist regelhaft.
Herr Schäuble ist kein Hüter des Rechts und der Regelhaftigkeit. Er bildet sich nur ein, er könne darüber entscheiden, wann das Recht und die Regeln einzuhalten sind und wann nicht, bzw. wer überhaupt Recht und Regeln einzuhalten hat und wer nicht.
Es geht nicht darum, daß das Recht und die Regeln "nicht völlig" außer acht gelassen werden dürfen. Es geht darum, daß, wenn es Recht und Regeln gibt, diese immer, völlig, und für alle in gleicher Weise gelten müssen. Es ist eine sozialdemokratische Denkweise, für zulässig zu halten, daß es Personen oder Instanzen gibt, die bestimmen, unter welchen Umständen Recht und Regeln gelten. Eine Rechtsordnung ist eine Rechtsordnung, und eine sozialdemokratische "Ordnung" ist eine Unrechtsordnung.
Ein Schäuble ist dann für Regeln und gegen Schulden, wenn er anderen auferlegen kann, an welche Regeln sie sich zu halten haben und wieviel Schulden sie machen dürfen. Ob und wann er sich selbst an Regeln hält bzw. ob und wieviel Schulden er selber macht, das betrachtet er als eine Sache, die allein in seiner Machtvollkommenheit liegt. Er ist das Muster des Parteienstaatfunktionärs, der völlig unabhängig von demokratischer Legitimation auf Ewigkeit amtiert und willkürlich schaltet und waltet.
In dieser Euro-Währungsunion gibt es mächtige Länder und machtlose Länder. Zwischen der einen und der anderen Sorte von Ländern gibt es einen Zustand der Rechtlosigkeit. Für die einen gelten Maßstäbe, die für die anderen nicht gelten. Wenn die mächtigen Länder gegen das geltende Recht verstoßen, ist das kein Problem, wenn die machtlosen Länder dasselbe tun, werden sie von den Mächtigen daran erinnert, daß es "Regeln" gibt, die einzuhalten sind. Der gesamte Zustand des gesamten Euro-Währungsgebildes ein einziger Regel- und Rechtsverstoß.
Es bringt nichts, sich dann an die Notwendigkeit zur Einhaltung von Regel zu erinnern, wenn es gerade in den Kram paßt. Schäubles aktuelle Präferenz für die Einhaltung von Regeln durch Griechenland ist wertlos und tyrannisch.
Der Parteienstaat ist nichts Regelhaftes, er ist ein sozialdemokratischer Staatsstreich. Es muß immer wieder die offensichtlichen Rechtsbrüche und Regelverstöße geben, die den sozialdemokratischen "Fortschritt" in der Spur halten. Ohne ständige korrigierende Staatslüge, -betrug und -manipulation gibt es keinen prozeßhaften linken Staatsstreich, keinen linken Marsch in die totale Staatsherrschaft. Der Euro soll die Vollendung des sozialdemokratischen Staatsstreichs in Europa sein. Zu seiner "Rettung" geschieht genau das immer und immer wieder: Mit ständiger korrigierender Staatslüge, -betrug und -manipulation wird die Existenz des Euro garantiert und der Staatsstreich-Prozeß in der Spur gehalten.
Nur wenn die Regellosigkeit die Regel ist, ist im Parteienstaat alles regelhaft.
Was ist regelhaft daran, wie der Parteienstaat umgeht mit
- nicht-sozialdemokratischen politischen Parteien und Bewegungen
- Parteispenden-Sammlern wie etwa Kohl und Schäuble
- der NSU-Mordserie
- der Edathy-Angelegenheit
- der epidemischen Steuerhinterziehung quer durch die Gesellschaft
- den korrupten Geschäftspraktiken der deutschen Politik und Wirtschaft in aller Welt
- mit der Schnüffelei deutscher Geheimdienste und Behörden gegen deutsche Staatsbürger
- mit Verfassungsangelegenheiten, bei denen es um "Vertrauen" geht, z.B. mit der "Vertrauensfrage" im "Parlament"
???
Was ist regelhaft
- am Beitritt Griechenlands zum Euro
- an der Zwangsmitgliedschaft Griechenlands im Euro
- an der Verletzung der Bedingungen für eine Mitgliedschaft im Euro durch die allermeisten Euro-Länder (Haushaltsdefizite, Schuldenstand)
- an der willkürlichen Handhabung des Sanktionsregimes des "Stabilitätspakts"
- an der fiktionalen gesamtwirtschaftlichen Buchführung in den Euro-Ländern (nicht nur Griechenland ist pleite; sogar die BRD befindet sich real-volkswirtschaftlich in einem ziemlich gerupften Zustand)
- an den Machenschaften der EZB (Staatsfinanzierung)
- an der staatlichen Stützung bankrotter Banken
- an der Verlagerung der Verlustrisiken von Privatwirtschaft (insbesondere der privaten Banken) und der EZB auf den Staat und damit auf die Steuerzahler
- an der Verstaatlichung solcher Bankrottläden wie Commerzbank oder Hypo Real Estate (Verluste für den Steuerzahler in 3-stelliger Milliardenhöhe)
- an der Einrichtung der "Rettungsfonds" (Leckerbissen: die Entscheidungs-gremien des ESM sind immun gegen Verantwortlichkeit vor Gericht)
- an der absichtlichen Lückenhaftigkeit der Euro-Verträge (der Austritt aus dem Euro ist nicht geregelt)
- an der "demokratische Zustimmung" zur "Euro-Rettung" durch die nationalen Parlamente (spottet jedem ordnungsgemäßen parlamentarischen Verfahren)
???
Fazit:
1. Die Euro-Währungsunion ist ein supra-staatliches Unrechtsmonster.
2. Die sozialdemokratische politische Organisation Deutschlands und Europas (Parteienstaat) muß weg.


Donnerstag, der 23. Juli 2015
 
Aus einem "faz.net"-Artikel von Rainer Hermann mit der Überschrift "Griechische Schuldenkrise / Kleiner Mann, was nun?" (Mittwoch, 22. Juli 2015):
 Anfang Längeres Zitat  Panagiotis Seretis ist 34 Jahre alt, er sieht aber älter aus ... „Stress, ein wahnsinniger Druck“, sagt er wortkarg. Nervös blinzeln seine dunklen Augen. Gelegentlich betreten Leute aus der Nachbarschaft sein Elektrogeschäft. Sie kaufen Kleinigkeiten, immer nur für ein paar Euro. An der Wand hängen Kopfhörer und Fernbedienungen für Fernsehgeräte, von der Decke weit ausladende Antennen, da sind CDs gestapelt, dort stehen verpackte CD-Spieler. Nicht gerade Produkte, die für den technischen Fortschritt stehen.
So sah das Geschäft vielleicht schon vor zwanzig Jahren aus. Damals hatte es sein Vater gegründet und eingerichtet. Galatsi, ein Athener Vorort im Norden, wuchs. Menschen, die nach Athen zogen, ließen sich hier nieder. Sie brauchten alles, auch Elektroprodukte. Es war eine gute Zeit. Die vielen kleinen Geschäfte und Handwerksbetriebe boomten. Eine bescheidene Mittelschicht entwickelte sich in dem Viertel. Das war im Zeitalter der Drachme. Der Vater ging in Rente, der Sohn übernahm. Die Umsätze sind seither bescheiden geworden, und Panagiotis Seretis hat selbst Mühe, die monatliche Miete von 1000 Euro für die 20 Quadratmeter aufzubringen. „Der Umsatz liegt heute mindestens 40 Prozent unter dem der guten Jahre“, sagt Seretis ...
Würde seine Frau nicht arbeiten, die vierköpfige Familie könnte längst nicht mehr von dem Geschäft leben. Erst hatte die Teuerung, die mit der Einführung des Euros verbunden war, den Umsatz gedrückt. Der wirkliche Niedergang setzt aber 2007 ein, als sich große Ketten wie Praktiker und auch Supermärkte in Griechenland niederließen. Die waren billiger, sie hatten auch ein größeres Angebot als Panagiotis Seretis. Die Leute aus dem Viertel kauften nun dort ein.
Mit dem neuen Programm der Regierung werde alles nur noch schlimmer, fürchtet der Ladeninhaber. Die Steuern steigen weiter, und auf den zu erwartenden Gewinn für 2016 muss er bald eine Abschlagszahlung von 100 Prozent zahlen. „Ob ich dann Umsatz haben werde oder nicht.“ Und nach neuen Kürzungen von Gehältern und Renten werden die Menschen in Galatsi noch weniger Geld haben, um bei ihm einzukaufen.
Die Geschichte des Panagiotis Seretis steht für das Schicksal vieler Griechen. Griechenland ist das Land der Kleingewerbetreibenden. Jeder dritte Grieche ist selbständig und freiberuflich tätig. Meist mit einem kleinen Geschäft oder als Handwerker, in der Regel als Familienbetrieb. „Die Gesellschaft strukturiert sich um Familien herum“, sagt Thomas Maloutas, Professor für soziale Geographie an der Athener Harokopio Universität und früherer Direktor des Nationalen Zentrums für Sozialwissenschaften. In den südlichen Mittelmeerländern gebe es keinen Wohlfahrtsstaat wie im Norden. Schutz und Hilfe findet der Einzelne bei der Familie. In den vergangenen Jahren hat staatliche Politik diese soziale Funktion der Familie noch gefördert.
Das Straßenbild von Galatsi unterscheidet sich nicht von dem anderer Viertel großer und kleiner griechischer Städte. Die Häuser sind vier oder fünf Stockwerke hoch, tiefgezogene Vorhänge spenden auf den Balkonen Schatten, ebenerdig reiht sich ein Einzelhandelsgeschäft an das andere, unterbrochen mal durch ein Café, eine kleine Werkstatt.
Eigentlich müsste Griechenland, dessen Wirtschaft auf solchen kleinen Einheiten basiert, diese doch unterstützen – ohne jedoch zum Protektionismus zurückzukehren, sagt Professor Maloutas. Es sollte seiner Ansicht nach verhindert werden, dass diese kleinen Betriebe verschwinden und sich die Wirtschaftsstruktur auflöse. Denn unvermeidbar sei es ja nicht, dass großes internationales Kapital die kleinen Betriebe verdränge. Die Deregulierung – die die Großen gegenüber den Kleinen begünstige, da sie gleiche Bedingungen für ungleiche Akteure festschreibe – sei schließlich ein politisches Projekt. Und mit dem Euro dringe die neoliberale Politik in die Peripherie Europas vor, womit sich der Strukturwandel beschleunige. Denn der Euro ermöglicht den global agierenden Unternehmen, selbst an kleinen Orten wie Galatsi direkt einzugreifen. Dieser Prozess müsse gesteuert werden, glaubt Maloutas, nicht zuletzt um der Aushöhlung der gesellschaftlichen Strukturen entgegenzuwirken, fordert der Wissenschaftler, der über die Entwicklung urbaner Stätten geforscht hat.
Kleine Selbständige wie Panagiotis Seretis sehen sich heute einem zweifachen Zugriff ausgesetzt. Zum einen bedrängen ihn Großunternehmen, zum anderen kann er sich nicht länger dem Staat entziehen, der sich modernisiert und zum Steuereintreiber wird. Maloutas sieht das kritisch: „Eine wirtschaftliche Deregulierung ist immer auch eine soziale Deregulierung.“ Opfer seien die Schwachen ...  Ende Längeres Zitat 

"mit dem Euro dringt die neoliberale Politik vor"?
Der Euro und die Globalisierung haben mit Neoliberalismus nichts zu tun. Euro und Globalisierung bedeuten wirtschaftliche Konzentration, Kartellierung, Syndizierung*, Syndizierung* der Arbeit, Syndizierung* des Kapitals, Syndizierung* von Arbeit und Kapital. Das ist ein staatlich initiierter, geförderter, gelenkter, regulierter, gestützter, kontrollierter Vorgang. Das hat nichts mit Freiheit zu tun sondern mit dem Gegenteil, der Expansion des Staates. Das ist nicht Neoliberalismus, das ist Sozialdemokratismus.
"Deregulierung" klingt liberal. - Die Frage ist aber: Wen begünstigt der Staat, und wen benachteiligt er. Die Antwort: Der Staat begünstigt den, der der Sicherheit, dem Wohlergehen und der Macht der sozialdemokratischen Staatsklasse dient.
Das ist die "soziale" - aber leider unaufgeklärte und unzivilisierte - Konstante durch die Zeitalter: Wer sich das Gewaltmonopol sichern kann, läßt es sich gut gehen. Für die anderen bleibt, wenn sie Glück haben, ein bißchen übrig. Der Rest verhungert. Aufgeklärt und zivilisiert sind wir aber erst, wenn wir den Gewaltmonopolisten - dem Staat - nicht mehr erlauben, die Dinge in dieser Weise zu ordnen. Eine aufgeklärte und zivilisierte Welt haben wir erst dann, wenn wir das Problem des staatlichen Gewaltmonopols gelöst haben. Durch Entmonopolisierung, Dezentralisierung, Eindämmung, Abschreckung und Minimierung staatlicher Gewalt.
*Syndizierung - im Sinne von Kriminalisierung; im Sinne der Bildung von kriminellen Organisationen


Freitag, der 24. Juli 2015
 
► Aus einem "welt.de"-Artikel von Dirk Schümer mit der Überschrift "Das «Vierte Reich» / Eine Welle von Deutschenhass rollt durch Europa" (Sonntag, 19. Juli 2015):
 Anfang Längeres Zitat  Wenn krude Keynesianer wie Jeffrey Sachs oder Paul Krugman quasi im Minutentakt die "schockierenden" Positionen der fühllosen Deutschen an den Pranger stellen und die "New York Times" sich zum Sprachrohr der antideutschen Liga aufschwingt, dann ist das natürlich erst einmal preiswerte Wirtschaftspolitik; schließlich zahlt Amerika ja keinen Cent. Doch es geht um mehr, wie ein Text des kalifornischen Historikers Jacob Soll eben aus der "New York Times" vorführt.
Da berichtet der Autor fassungslos von der Herzlosigkeit deutscher Ökonomen, die von ihm mit der Armut in Griechenland konfrontiert werden. Die Botschaft: Was in Griechenland schiefläuft, ist kein griechisches Problem, sondern die Verantwortung aller Deutschen. Die Frage, ob er sich persönlich für Terrortote im Irak verantwortlich fühle oder für wirklich arme Staaten wie Mali oder Haiti sein Gehalt kürzen möchte, würde Professor Soll sicher als Unverschämtheit empfinden.
... In einer englischen Fernsehserie gab es einmal einen ... typischen Deutschen, der in seinem schlecht sitzenden Pullover für alles Elend der Welt pauschal die Verantwortung übernahm und notfalls für alle den Abwasch machte – eine würdelose Witzfigur eben.
Dabei hätte es ohnehin nicht geklappt, wenn sich Angela Merkel beim Brüsseler Nachtpoker diskret zum Nickerchen zurückgezogen und den unbarmherzigen Letten und Slowaken Kommando und Scheckbuch überlassen hätte. Dieselben globalen Giftspritzen gegen hässliche deutsche Allmacht hätten dann jetzt eben die deutsche Feigheit gegeißelt. Uns bleibt keine Wahl.
Gerade von der einstigen Weltmacht Großbritannien können wir lernen, mit Hass und Klischees umzugehen. Wenn man es ohnehin keinem Recht machen kann, dann entschuldigt man sich nicht und man beschwert sich auch nicht. Man buhlt nicht um Zuwendung und ignoriert die Häme – wie ein echter Gentleman.
Doch die Deutschen, die in ihrer jüngeren Geschichte so viel Grund zum Entschuldigen und so wenig Grund zum Beschweren hatten und mit ihren allzeit kaputten Gewehren und Hubschraubern nie eine Großmacht sein werden, fremdeln mit der unerwarteten Rolle des Buhmanns.
Wir wollten doch nur, dass alle anderen uns lieb haben. Wir wollten mit gefeilten Nägeln und geföntem Pony so elegant dastehen wie Jogi Löw. Und nun kommen wir so verbissen rüber wie Wolfgang Schäuble. Das einzig tröstliche an diesem hinterhältigen Spiel der Diskurse, in dem wir niemals Weltmeister werden: Irgendwann isch over.  Ende Längeres Zitat 
► Aus einem "faz.net"-Artikel von Jürgen Kaube mit der Überschrift "Deutschlands Image in der Welt / Hochgejubelt und kleingeredet" (Dienstag, 21. Juli 2015):
 Anfang Längeres Zitat  Deutschland und die Deutschen sind immer ein sehr ergiebiges Thema. Für die Deutschen selbst, aber auch für viele andere. Soeben waren wir noch super, wohlstands- und sozialstaats- und kulturstaats- und berlinmäßig. Vorbildlich föderal, europäisch und rechtsstaatlich. In Umfragen der BBC unter mehr als 26.000 Personen aus 25 Ländern war Deutschland noch 2014 das beliebteste Land der Erde, vor Kanada, Großbritannien und Frankreich. Amerikanische Umfragen kamen nach einem halben Jahr zu demselben Ergebnis (nur die Vereinigten Staaten schoben sich dort auf Platz zwei). Das „Time“-Magazin schrieb im vergangenen November, jeder wolle heutzutage Deutschlands Freund sein.
Das Lob Deutschlands erstreckt sich je nach Kommentator auf ganz unterschiedliche Tatbestände. Wir gedenken mehr unserer historischen Katastrophen als alle anderen. Wir nehmen die Pisa-Studie ernster als sonst ein Land. Wir haben mehr Opernhäuser, mehr geisteswissenschaftliche Studenten und mehr Mülltrennung als sonst jemand. Vom dualen System der Berufsbildung, dem exportorientierten Mittelstand und der Stiftung Warentest ganz zu schweigen.
Unser größtes Defizit, fand neulich ein Kolumnist der „Financial Times“, sei eigentlich, dass wir diese komplizierte Sprache hätten. Deutschen, die Englisch schrieben, so durfte man ihn verstehen, stünde das Verständnis der Welt ganz offen. Was Simon Kuper allerdings ergänzte: Weil fast niemand außerhalb Deutschlands Deutsch lese, fabrizierten sich viele ihr Deutschland-Bild völlig unabhängig von dem, was in Deutschland gedacht, gesagt und geschrieben werde. Und so sehe das Deutschland-Bild dann auch aus.
Jetzt, eine Weltsekunde später, bestätigt sich diese Vermutung. Denn jetzt sind wir, die sogar im Fußball eine Swingband geworden waren, plötzlich wieder ziemlich schlimm und immer noch die alten Deutschen. Plattmacher, streng, Abrechner, lauter böse schwäbische Hausfrauen, die Effizienz mehr achtend als die Demokratie, hässlich, mitleidlos, kalt. Selbst wenn man die törichten Hitler-Vergleiche abzieht, bleibt doch ein bemerkenswertes Unbehagen gegenüber alldem, was den Deutschen erst kürzlich noch gutgeschrieben wurde.
Der „Economist“ beispielsweise fordert von den Deutschen seit Jahren, sie sollten ihrer Bedeutung in und für Europa mehr gerecht werden. Auch andere angloamerikanische Stimmen beschreiben die Deutschen und ihre Politik als ambivalent, unentschieden zwischen Stärke und Verzagtheit. Einerseits Jobwunder und Austeritätspolitik, andererseits „German Angst“: vor Inflation, vor Migration, vor Auslandseinsätzen, vor Google, vor Fracking, vor Eurobonds und so weiter.
Wir sind also selbst in dem, was an uns nicht in Ordnung ist, ambivalent, vielen zugleich zu stark und zu schwach. Wer in England von „German disease“ spricht, meint niedrigen Blutdruck, wer die deutsche Mentalität bezeichnen soll, wählt oft andere, aggressivere Qualitäten. Das war schon im neunzehnten Jahrhundert so, als die einen in den Deutschen Träumer sahen, die anderen hingegen warnten, was passieren würde, wenn sie aufwachten ...
Das hat sich bis in die Gegenwart gehalten ... Und weil in der Beschreibung Deutschlands immer schon Gegensätze untergebracht sind, fällt es leicht, montags das Eine an ihnen herauszustreichen und freitags dann schon das Gegenteil.
So kommt es zu einem ständigen Auf und Ab der Deutschen in den Zeitdiagnosen ...
... Viele Deutschen haben darauf schon lange auf die Weise reagiert, dass sie es gut finden, wenn sie im Ausland nicht wiedererkannt werden. Oder noch besser: wenn sie mit anderen Nationalitäten verwechselt werden ...
Andere Deutsche wiederum reagieren beleidigt, dass ihr Werben um Anerkennung durch Europa-Freundlichkeit und Friedfertigkeit und Niemals-wieder-Großmacht-sein-Wollen und Bürgschaften geben rein gar nichts geholfen hat, was das Image angeht ...  Ende Längeres Zitat 
► Aus einem "faz.net"-Kommentar von Klaus-Dieter Frankenberger mit der Überschrift "Führungsrolle in Europa / Deutschland darf sich nicht einschüchtern lassen" (Donnerstag, 23. Juli 2015):
 Anfang Längeres Zitat  Nach dem jüngsten Griechenland-Gipfel wurde hier und da Alarm gegeben: Die „deutsche Frage“ sei wieder aktuell; nichts mehr werde in der EU sein wie zuvor; viel Vertrauen hätten die Deutschen verspielt. Einige Kommentatoren und Politiker verstiegen sich zu grotesken historischen Vergleichen und ließen dem Ressentiment freien Lauf. Warum?
Weil die Bundesregierung, genauer: der Bundesfinanzminister, es gewagt hatte, während der Verhandlungen ein vorübergehendes Ausscheiden Griechenlands ins Spiel zu bringen, und weil sie offenbar etwas forsch aufgetreten war. Das griechische Schuldendrama währt ja nun auch viel zu lange. Aber so hatten sich die Kritiker Berlins „deutsche Führung“, die an eigenen Überzeugungen festhält, denn doch nicht vorgestellt.
... Die Deutschen machen beim Management der Schuldenkrise, aber auch in der Ukraine-Krise eine Erfahrung, die den Amerikanern allzu bekannt ist: Man kann es kaum einem recht machen; man tut das Falsche, agiert zögerlich, nicht mutig genug; wenn man nichts tut, dann ist es besonders schlimm. (Es war der damalige polnische Außenminister Sikorski, der 2011 Deutschland zwar zur „unverzichtbaren Nation“ in Europa promovierte, aber deutsche Tatenlosigkeit mehr fürchtete als deutsche Macht.) Mit alldem muss man leben, selbst bösartige Kritik muss man aushalten, auch und gerade dann, wenn sie von Leuten kommt, die nach Sündenböcken suchen, um eigene Fehler und eigenes Versagen zu verbergen – oder den Bedeutungsverlust des eigenen Landes zu verdrängen.  Ende Längeres Zitat 

"deutsche Führung"?
Ein Land mit einer sozialdemokratischen Staatsideologie ist untauglich für internationale Führung.
Sozialdemokratische Politik will "mitbestimmen", will also keine Verantwortung übernehmen, will nicht Stellung beziehen, will nicht auf einen bestimmten Standpunkt festgelegt sein, will freie Hand haben für jede Art von Verrat. Die sozialdemokratische BRD will einerseits internationale Verantwortung vergemeinschaften, andererseits aber doch die Richtung bestimmen. Und das Ganze mal auf eine unterwürfige, mal auf eine herrische Art, zunehmend aber auf eine herrische Art.
Man könnte sagen: Die sozialdemokratische BRD ist ein launischer internationaler Machtparasit, der unfähig ist zu einer realistischen Selbsteinschätzung und der mangels eines moralischen Kompasses zu Extremreaktionen neigt.
Jede europäische Staatenordnung, in der ein sozialdemokratisches Deutschland "mitbestimmt", ist zum Scheitern verurteilt und gefährlich.
Die sozialdemokratische BRD und jede europäische Staatenordnung, in der sie Mitglied ist, müssen durch eine stabile zivilisatorische Übermacht in Schach gehalten werden.
Sozialdemokraten sind politische Borderliner, gespaltene Persönlichkeiten, die mit Macht nicht umgehen können und unter Vormundschaft gestellt gehören.
Selbst wenn dem Sozialdemokratismus durch Beseitigung des Parteienstaats morgen der Boden entzogen würde, würde es wohl einige Zeit (Generationen?) dauern, bis sich in Deutschland echte Führungsverantwortung entwickeln könnte. Es macht keinen Sinn, wenn das Ausland das ignoriert und nach "deutscher Führung" ruft. Alles, was der sozialdemokratische Staat zu bieten hat, ist die Zersetzung und Dekonstruktion von Vernunft und Moral.

Samstag, der 25. Juli 2015
 
► Aus einem "faz.net"-Artikel von Alexander Armbruster mit der Überschrift "Griechenlands Schuldenkrise / Amerikas Angst vor dem Grexit" (Montag, 29. Juni 2015):
 Anfang Längeres Zitat  Warum machen sich die Vereinigten Staaten dafür stark, dass Griechenland in der Währungsunion bleibt und unbedingt eine Einigung mit den Gläubigern her muss? Ein sehr lesenswerter Artikel in der „New York Times“ zu dieser Frage beginnt so: „Als in Griechenland ein Bürgerkrieg tobte und der Schatten sowjetischer Dominanz über Europa hing im Jahr 1947, forderte Präsident Harry S. Truman 'sofortige und entschiedene' Maßnahmen (...) um Griechenland im Westen zu halten. Griechenland nicht zu helfen in dieser 'schicksalhaften Stunde', warnte Truman, werde weitreichende Auswirkungen auf den Westen wie den Osten haben.“
... Die Vereinigten Staaten sind aber nicht nur aus strategischen Motiven interessiert daran, dass Griechenland in der Währungsunion bleibt und die Gläubiger das Land weiter unterstützen. Nach dem Zusammenbruch der Investmentbank Lehman Brothers, der sich daraufhin verschärfenden Finanzkrise, die das Land nun gerade hinter sich zu lassen scheint, will Washington keinen weiteren „Schock“. Und sicher, ob eine Pleite Griechenlands und ein vielleicht folgender Austritt des Landes aus dem Euro wirklich keine wirtschaftlichen Ansteckungseffekte hätte, sind sich die Experten eben doch nicht vollends. Daneben hat über die Kredite des Internationalen Währungsfonds natürlich auch der amerikanische Steuerzahler Kredit an Athen gegeben - derzeit dürften gut 6 Milliarden Dollar im Feuer stehen, wenn Griechenland nicht zurückzahlt.  Ende Längeres Zitat 
► Aus einem "welt.de"-Bericht mit der Überschrift "US-Präsident / Obama drängt - Großbritannien soll in EU bleiben" (Freitag, 24. Juli 2015):
 Anfang Längeres Zitat  US-Präsident Barack Obama hat Großbritannien zum Verbleib in der Europäischen Union gedrängt. Er sagte der britischen BBC in einem am Donnerstag ausgestrahlten Interview, die EU mit Großbritannien als Mitglied gebe den USA "ein viel größeres Vertrauen in die Stärke der transatlantischen Union". Washington wolle sichergehen, dass London diesen Einfluss weiterhin behalte, fuhr Obama fort.
Die Europäische Union sei ein "Eckpfeiler" der Institutionen, die nach dem Zweiten Weltkrieg gebildet worden seien und die internationale Gemeinschaft "sicherer und wohlhabender" gemacht hätten, sagte Obama der BBC. Der US-Präsident äußerte sich vor dem Hintergrund eines in Großbritannien geplanten Referendums zur EU-Mitgliedschaft.  Ende Längeres Zitat 
► Aus einem "welt.de"-Bericht mit der Überschrift "Großbritannien / Briten «not amused» über Obamas Anti-Brexit-Appell" (Freitag, 24. Juli 2015):
 Anfang Längeres Zitat  Schon in vergangenen Monaten hatte Obama keinen Zweifel daran gelassen, dass Washington der Perspektive eines Brexit wenig abgewinnen kann. So deutlich wie in dem Donnerstagnacht ausgestrahlten BBC-Interview war der Demokrat aber noch nie geworden.
Sehr zum Missfallen der Brexit-Anhänger, die ihre nationale Souveränität nun nicht nur durch Brüssel, sondern auch durch die Appelle von der anderen Seite des Atlantiks angegriffen sehen. "Es ist nicht weise von Obama, die Briten im Interesse der Amerikaner unter Druck zu setzen. Wir müssen zuerst an unsere eigenen nationalen Interessen denken", wetterte Patrick O'Flynn, Europaabgeordneter der Anti-EU-Partei Ukip.
Der konservative EU-Parlamentarier Daniel Hannan schlug in dieselbe Kerbe. "Es mag einige Argumente geben, warum man in der EU bleiben sollte. Amerika einen Gefallen zu tun ist sicher keines."
Obama liege völlig falsch mit der Überzeugung, dass die EU in jedweder Hinsicht Vorteile für die Briten bringe, meinte auch John Redwood, euroskeptischer Tory-Abgeordneter im Unterhaus. "Wenn es so ein gute Idee ist, dass andere Länder einem Gesetze und Steuern aufdrücken können und dann dein Geld ausgeben, warum gründet Obama dann nicht eine Amerikanische Union? Mexiko hätte dann eine offene Grenze mit den USA, Kuba könnte US-Steuergelder für sich selbst ausgeben und Brasilien den USA Gesetze aufzwingen, die die USA nicht wollen.
Auch Ukip-Chef Nigel Farage gab dem US-Präsidenten seine Antwort: "Die rückwärtsgewandte, veraltete EU ist im Zeitalter wachsender Globalisierung nicht das Modell, mit dem Großbritannien seinen weltweiten Einfluss behalten sollte." Obama habe wohl nicht verstanden, dass die EU kein loser Verbund von Mitgliedern, sondern eine politische Union sei.
Aus den Reaktionen des "Out"-Lagers lässt sich ablesen, dass Obamas Intervention von außen eine heikle Angelegenheit ist ...
... Vonseiten der Regierung in London gab es am Freitag erwartbar kaum Reaktionen. "Es ist richtig, dass Großbritannien Verhandlungen (über die EU-Mitgliedschaft, d. Red) führt und ein Referendum abhält, die den Bedenken der britischen Bürger Rechnung tragen. So kann sichergestellt werden, dass die Briten das letzte Wort haben, ob wir in einer reformierten EU bleiben oder austreten."  Ende Längeres Zitat 

Bloß keinen "Grexit"? Bloß keinen "Brexit"?
Das ist das alte Denken der US-Politik: Geopolitische Schein-Stabilität durch ein sozialdemokratisches Europa.
Wir brauchen das neue Denken: Freiheit für Europa.
Es gibt im transatlantischen Verhältnis zwei Möglichkeiten: a) Wir bekommen ein amerikanisches Europa. b) Wir bekommen ein europäisches Amerika.
Was wir brauchen und was wir nicht brauchen ist klar. Nicht so klar scheint zu sein, daß eine transatlantische Freihandelszone allein es nicht bringt. Wenn nur die Wirtschaft das verbindende Element ist, geht es sogar in die falsche Richtung. Es braucht einen begleitenden politischen Prozeß. Es gibt hier auf amerikanischer Seite strategischen Nachholbedarf.
Amerika braucht im Verhältnis zu Europa eine Zukunftsperspektive. Amerika muß auf zivilisatorischen Fortschritt in Europa setzen.
Die US-Politik braucht für Europa einen strukturierten Ansatz. Europa ist nicht homogen. In diesen Tagen ist nichts deutlicher als das.
Wir erreichen nichts, wenn nicht der erste Schritt getan wird.
"Grexit" und "Brexit" sind echte Chancen für die Freiheit Europas, die das amerikanische Volk aus vollem Herzen unterstützen kann.
In der gegenwärtigen Situation ist Europas beste Hoffnung: "Grexit" und "Brexit".


Montag, der 27. Juli 2015
 
Aus einer "faz.net"-Reportage mit dem Titel "Tief im Westen / Bochum - Du Perle im Revier" (Montag, 27. Juli 2015):
 Anfang Längeres Zitat  Scheitern und wieder aufstehen. Darum geht es in dieser Geschichte über Bochum, die auch eine Geschichte über den Ruhrpott ist. Und sie muss hier spielen, im geografischen Zentrum des Ruhrgebiets. 4630 Bochum. Du Blume im Revier, singt Herbert Grönemeyer, der auch lange weg ist von hier. Bochum blüht nicht mehr.
... Im September wählt Bochum einen neuen Oberbürgermeister. Die Amtsinhaberin tritt nicht mehr an, die SPD nominiert den Landtagsabgeordneten Thomas Eiskirch. Seine Chancen sind ganz gut, die SPD hat noch nie in Bochum verloren.
Der Punksänger Wölfi Wendland tritt auch zur OB-Wahl an. Er wird wahrscheinlich nicht gewinnen, das weiß er. Wendland will nur ein bisschen Unruhe stiften in der Bochumer Kommunalpolitik.
Seit 30 Jahren ist Wölfi Wendland Sänger der Punkband „Die Kassierer“. Bei seinen Auftritten trägt der Mann aus Bochum-Wattenscheid selten mehr als eine Hose. Die Songtexte liest er von einem Blatt ab, er könnte ja Zeilen wie „Das Schlimmste ist, wenn das Bier alle ist“ vergessen.
2009 war Wendland Kanzlerkandidat der Anarchistischen Pogo-Partei Deutschlands. Sein Wahlspruch: „Arbeit ist Scheiße“. Jetzt will er die fast 70-jährige SPD-Herrschaft in Bochum brechen. Die nötigen Unterschriften für seine Kandidatur als Oberbürgermeister hat er in einer Aldi-Tüte abgegeben.
Wendland tritt an, weil er den SPD-Kandidaten Thomas Eiskirch für unfähig hält: „Ein Karrierepolitiker, der nicht mal eine abgeschlossene Ausbildung hat“, sagt Wendland. Er selbst ist gelernter Mediengestalter. Wendland sagt: „Es ist ein Phänomen im Ruhrgebiet, dass für Leute, die sonst nichts können, die Politik ein berufliches Auffangbecken ist.“  Ende Längeres Zitat 

"... ein Phänomen im Ruhrgebiet"?
Szene aus der Bonanza-Episode mit dem Titel "Mark Twain und die Cartwrights" (1. Staffel, Folge 5):
Mrs. Billington (die schöne Frau des Richters Billington): Ein so begabter Junge wie Sie sollte seine kostbare Zeit nicht an´s Schreiben oder ähnliche Nutzlosigkeiten verschwenden.
Sam Clemens: Tja, aber was soll ich dann tun. Seh´n Sie, ich hab´s mit der Goldgräberei versucht. Ich hab´ nicht einen roten Heller verdient.
Mrs. Billington: Im Dreck nach Gold wühlen ist fast so aussichtslos wie Schreiben. Es gibt einen Haufen andere Möglichkeiten, viel Geld zu machen, als es aus den Bergen zu kratzen.
Sam Clemens: Ja, da dürften Sie recht haben.
Mrs. Billington: Nehmen Sie die Politik. In der Politik liegt eine große Zukunft.
Sam Clemens: Ich würde sagen, das ist schon immer so gewesen - während der letzten 5.000 Jahre jedenfalls.


Donnerstag, der 30. Juli 2015
 
► Aus einem "faz.net"-Bericht von Werner Mussler mit der Überschrift "Griechenland-Krise / Schäuble will EU-Kommission entmachten" (Mittwoch, 29. Juli 2015):
 Anfang Längeres Zitat  Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) fordert angesichts der andauernden Kompetenzstreitigkeiten unter den Griechenland-Gläubigern, dass die Zuständigkeiten der Europäischen Kommission auf einigen Feldern zurückgeschnitten und insgesamt neu gegliedert werden. Nach Informationen der Frankfurter Allgemeinen Zeitung will Schäuble erreichen, dass die ursprüngliche Funktion der Brüsseler Behörde als sogenannte Hüterin der EU-Verträge institutionell getrennt wird von ihren immer stärker werdenden politischen Aktivitäten.
Der Minister hat nach Angaben von Brüsseler Diplomaten auf dem Treffen der EU-Finanzminister vor zwei Wochen in Brüssel eine schnelle Diskussion der EU-Staaten darüber angemahnt, wie die Kommission ihre ursprüngliche Kernaufgabe – die Durchsetzung des europäischen Rechts etwa als Wettbewerbshüterin und in der Aufsicht über die Binnenmarktregeln – noch erfüllen kann. Schäuble denkt daran, diese Funktionen an politisch unabhängige Behörden nach dem Vorbild des Bundeskartellamts auszugliedern und so der Zuständigkeit der Kommission zu entziehen. Der niederländische Finanzminister Jeroen Dijsselbloem will das Thema zu einem Schwerpunkt des niederländischen EU-Ratsvorsitzes im ersten Halbjahr 2016 machen.
... Schäubles Überlegungen zu einer Neuordnung der Kommissionskompetenzen gehen aber erheblich über den aktuellen Griechenland-Bezug hinaus. Er argumentiert, die Behörde könne nicht gleichzeitig als Hüterin der Verträge agieren und sich immer mehr als Europa-Regierung in Szene setzen. Der Minister unterstütze zwar die Idee einer politischen Kommission, urteilen EU-Diplomaten. Er sei aber der Ansicht, dass eine diskretionär entscheidende politische Kommission nicht auch mit der Aufsicht über die und der Durchsetzung der EU-Rechtsregeln betraut sein könne. Diese müsse an – dann zusätzlich einzurichtende – unabhängige Institutionen, also beispielsweise eine europäischen Wettbewerbs- oder Binnenmarktbehörde ausgegliedert werden.  Ende Längeres Zitat 
► "faz.net"-Kommentar von Werner Mussler mit der Überschrift "Kommentar / Die EU schwächen?" (Donnerstag, 30. Juli 2015):
 Anfang Längeres Zitat  So diffus der Anspruch von EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker bisweilen formuliert sein mag, ein „politischer“ Präsident zu sein, so klar ist dieser Anspruch im Kern: Juncker ist siegreich aus der Europawahl 2014 hervorgegangen, die erstmals von selbsternannten Spitzenkandidaten bestritten wurde. Er leitet daraus nicht nur eine neue demokratische Legitimation ab, sondern auch den Auftrag, mehr und mehr als europäischer Regierungschef zu agieren.
Es ist bekannt, dass speziell die Bundeskanzlerin darüber wenig amüsiert ist. Bekannt ist auch, dass Juncker zuletzt wegen seiner Sonderverhandlungen mit der griechischen Regierung immer wieder in Konflikt mit den Eurofinanzministern geraten ist. Diese haben ihn mehrfach darauf hingewiesen, dass die Hilfskredite für Athen nicht von der EU-Behörde, sondern von den Eurostaaten kommen.
Vor diesem Hintergrund wirft der Bundesfinanzminister mit einigem Recht die Frage auf, ob die zunehmende politische Kompetenzanmaßung der Kommission noch mit ihrer ursprünglichen Aufgabe als „Hüterin der Verträge“ in Einklang zu bringen sei. In dieser Funktion achtet die Kommission darauf, dass die Mitgliedstaaten ihre europarechtlichen Verpflichtungen, etwa im Binnenmarkt, einhalten, und sie agiert als Wettbewerbsbehörde. Es ist keine triviale Frage, ob diese Funktion einer Durchsetzung des europäischen Rechts noch von einer Europäischen Kommission wahrgenommen werden kann, die sich als europäische Regierung versteht. Diese Frage hat umso mehr Berechtigung, als Juncker von der Bindung der (europäischen oder mitgliedstaatlichen) Politik an abstrakte Rechtsregeln ohnehin wenig hält.
So richtig also Schäubles Diagnose ist, so gefährlich ist die von ihm ins Spiel gebrachte Therapie. Die Idee des Ministers, die Aufsicht über die Binnenmarkt- und Wettbewerbsregeln in neue, unabhängige Behörden, etwa ein europäisches Kartellamt, auszugliedern, wäre gleichbedeutend mit einer entscheidenden Schwächung dieser Regeln. Diese bilden bei aller Relativierung immer noch den Markenkern. Würden sie einer neuen Institution anvertraut, die sich ihre Reputation noch erarbeiten müsste, würden Binnenmarkt und Wettbewerb nicht gestärkt, sondern geschwächt. Will Schäuble seine Idee weiterverfolgen, so muss er glaubwürdig den Verdacht widerlegen, dass ihm diese Schwächung ganz recht wäre.  Ende Längeres Zitat 

"... gleichbedeutend mit einer entscheidenden Schwächung der Regeln"?
FRAGE AN RADIO ERIWAN: Ein multinationaler Initiativkreis überzeugter Europäer soll, wie man hört, die Stiftung eines hochdotierten "Schäuble-Preises für innovative Euro-Krisenstrategien" planen. Kann Radio Eriwan das bestätigen, und hat sich der Radio-Eriwan-Expertenrat zur Sinnhaftigkeit eines solchen Preises gegebenenfalls schon eine Meinung gebildet?
RADIO ERIWAN: Das Gerücht ist irreführend. Der "Schäuble-Preis" ist Teil eines ganzen Maßnahmenpakets zur Stärkung der Akzeptanz des Euro durch die allgemeine Bevölkerung, das im Berliner Finanzministerium unter der Arbeitsbezeichnung "Shock, Awe and Euro" geplant wird. Radio Eriwan konnte weitere Einzelheiten des Programm, das ressortübergreifend angelegt ist und eigentlich noch unter Verschluß gehalten werden soll, in Erfahrung bringen:
- Universitäts-Lehrstühle für die Feasibility Analysis der Euro-strategischen Schachzüge von Herrn Schäuble
- Universitäre Sonderforschungsbereiche zum Thema "Vorübergehender Grexit"
- Der "Schäuble-Preis für innovative Euro-Krisenstrategien" soll der Förderung des Euro-Strategischen Nachwuchses dienen
- Einführung eines Exzellenz-Prädikats für hervorragende Leistungen von Universitäten auf dem Gebiet des Euro-strategischen Denkens
- Eusoteurik-Lehrstuhl für das Studium übernatürlicher Phänomene im Zusammenhang mit dem Euro (z.B. unbekannte Fleuropjekte, extrateurostrische Lebensformen, hypneurotische Heilmethoden)
- Artikel 3 des Grundgesetzes wird durch einen Absatz (2a) ergänzt: "Europhobe und Europhile sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Europhilen und Europhoben und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin."
- Artikel 3, Absatz (3) des Grundgesetzes wird ergänzt durch den Satz: "Niemand darf wegen seiner eurotischen Orientierung benachteiligt werden."
- Einführung bundesweit verbindlicher Schulleitlinien zum Thema "Akzeptanz eurotischer Vielfalt" (z.B. Hetero-, Homo, Bi-, Trans-Eurotik)
- Regelmäßige, breitgefächerte Medienkampagnen zur Werbung für Toleranz gegenüber jeder Art von Eurotik
- Anerkennung der Europhobie als heilbare pathologische Kondition. Die Behandlung wird als medizinisch notwendig eingestuft. Die gesetzlichen Krankenkassen werden zur Übernahme der Behandlungskosten verpflichtet.
- Wegen der besonderen Schutzbedürftigkeit der Betroffenen, sollen spezielle Fachkliniken ausschließlich für transeurotische Geschlechtsumwandlung eingerichtet werden. Verwaltungstechnisch sollen sie direkt dem Finanzministerium angegliedert werden.
Was die Sinnhaftigkeit von "Shock, Awe and Euro" insgesamt angeht ist aufgrund der bisher durchgesickerten Einzelmaßnahmen mit einem unterstützenden Votum durch den Radio-Eriwan-Expertenrat zu rechnen.


Montag, der 03. August 2015
 
► Aus einem "faz.net"-Kommentar von Werner Mussler mit der Überschrift "Kommentar / Der Doppelhut der EU-Kommission" (Samstag, 01. August 2015):
 Anfang Längeres Zitat  Soll sich die Europäische Kommission als politische Instanz und damit als oberste europäische Regierung verstehen? Oder soll sie die Funktion wahrnehmen, die ihr in den europäischen Verträgen hauptsächlich zugewiesen ist - die einer Hüterin dieser Verträge, also einer Behörde, die über das Funktionieren des Binnenmarkts, die Wettbewerbsregeln und die Rahmenregeln der Währungsunion wacht? Die Diskussion darüber, die der Bundesfinanzminister jetzt angestoßen hat, ist überfällig - auch wenn die Kommission den Eindruck vermittelt, das Problem gebe es gar nicht.
Wolfgang Schäuble hat recht: Der Anspruch von Behördenchef Jean-Claude Juncker, eben keine Behörde, sondern ein politisches Gremium zu führen, hat Rückwirkungen auf die Gewaltenteilung in der EU. Als Hüterin der Verträge hat die Kommission die Aufgabe, sich um die Durchsetzung allgemeiner Regeln zu kümmern. Als EU-Regierung handelt sie gerade nicht regelgebunden, sondern diskretionär. Der Doppelhut, den sie sich besonders unter Juncker aufgesetzt hat, war so nie vorgesehen.
... Mag sein, dass Schäuble seine feinsinnigen Gewaltenteilungsargumente nur vorschiebt. Sicher ist, dass ihm die ganze Richtung nicht behagt, in die sich die Juncker-Kommission im vergangenen Jahr bewegt hat. Der Kommissionschef hat sich in der Griechenland-Krise eine politische Rolle angemaßt, die ihm nicht zukommt, weil nicht die Brüsseler Behörde Athen mit Krediten versorgt, sondern die Regierungen der Eurostaaten, die sich dafür vor ihren Parlamenten und ihren Bürgern rechtfertigen müssen.
Die beleidigte Reaktion der Kommission auf Schäuble belegt jedenfalls, dass dieser einen wunden Punkt getroffen hat. Der Minister übersehe die „neue institutionelle Wirklichkeit“ in der EU, heißt es in der Behörde. Schließlich sei mit Juncker erstmals der erfolgreiche Europawahl-Spitzenkandidat zum Kommissionspräsidenten gekürt worden. Der Luxemburger leitet daraus eine neue demokratische Legitimation für sich als europäischen Regierungschef ab. Dieses Argument ist ohnehin fragwürdig, weil das Institut der Spitzenkandidatur handstreichartig eingeführt wurde und die geringe Wahlbeteiligung keine überragende Legitimation des Chefs der Kommission nahelegt. Wenn man das Argument aber akzeptiert, stellt sich die Frage umso mehr, ob die Kommission noch Hüterin der Verträge sein kann - genau wegen der „neuen institutionellen Wirklichkeit“.
Eine überzeugende Antwort auf seine Frage hat Schäuble vorerst selbst nicht. Seiner Idee, die Aufsicht über Wettbewerb, Binnenmarkt oder Stabilitätspakt in neue, unabhängige Behörden auszulagern, liegt entweder ein Denkfehler zugrunde - oder sie ist bewusst darauf angelegt, diese Aufsicht zu schwächen ...  Ende Längeres Zitat 
► Aus einem "faz.net"-Artikel von Peter Bofinger [Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung] mit der Überschrift "Standpunkt / Ohne ordnungspolitischen Kompass" (Sonntag, 02. August 2015):
 Anfang Längeres Zitat  Die meisten Ökonomen sind sich einig, dass eine Währungsunion auf Dauer nicht ohne ein Mindestmaß an politischer Integration überleben kann. Die Mehrheit des Sachverständigenrates sieht das anders. Mit dem Konzept „Maastricht 2.0“, das sie jetzt abermals in die Diskussion gebracht hat, setzt sie anstelle weiterer Integrationsschritte vor allem auf eine staatliche Insolvenzordnung und eine wirksamere Bankenaufsicht. Damit werde die Nichtbeistandsklausel wieder glaubwürdig, und die Märkte würden eine disziplinierende Wirkung auf die einzelnen Mitgliedstaaten ausüben, indem sie höhere Risikoprämien für laxe Haushaltspolitik einfordern.
... haben jene Ökonomen recht, die schon immer auf die Ergänzung der Währungsunion durch eine stärkere politische Union gedrängt haben. Ohne eine Übertragung fiskalpolitischer Kompetenzen auf die europäische Ebene hat die Währungsunion keine Zukunft. Ein für die Überwachung der Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspaktes zuständiger „Europäischer Finanzminister“ wäre eine bessere institutionelle Lösung als ein Klub von Wirtschafts- und Finanzministern, die sich wechselseitig disziplinieren sollen.
... Die Politik steht heute vor einer fundamentalen Richtungsentscheidung, die sich mit dem Bild eines Tunnels verdeutlichen lässt. Am Eingang stehen nationale Währungen und nationale Fiskalpolitiken. Am Tunnelende gibt es eine einheitliche Geldpolitik und ein Mindestmaß an politischer Integration. Derzeit stecken wir mit dem Euro und 19 nationalen Fiskalpolitiken in der Tunnelmitte fest. Die Mehrheit des Rates bemüht sich, das Tunnelleben zu verbessern. Wäre es nicht sinnvoller, den Weg zum Ausgang zu nehmen, auch wenn dieser erst noch in schwierigen politischen Prozessen gestaltet werden muss?  Ende Längeres Zitat 

"Doppelhut der EU-Kommission"?
Unter den selbsternannten "Gestaltern" der "europäischen Einheit" hat nicht nur die EU-Kommission einen "Doppelhut". Sie tragen alle einen "Doppelhut", unsere "überzeugten Europäer". Nur wird das "Doppelhut"-Problem aus "gutem" Grund nicht angesprochen.
Es gibt zwei Möglichkeiten in Europa: a) Wir haben Rechtssicherheit. b) Wir haben eine "immer engere Union". Möglichkeit a) ist ein Zustand. Möglichkeit b) ist ein Prozeß. Diese beiden Möglichkeiten sind nicht miteinander vereinbar. Sie schließen sich gegenseitig aus. Aber unsere "überzeugten Europäer" behaupten lügnerisch, beides haben zu können, "Rechtssicherheit/Regelhaftigkeit" einerseits und "Immer-engere-Union" andererseits.
Es wäre extreme argumentative Hochseillakrobatik, den gesellschaftlich-politischen Prozeß in einer gefestigten, institutionell verfaßten Demokratie, der dem freien gesellschaftlichem Wandel Rechnung trägt, mit dem "europäischen Einigungsprozeß", der ein voluntaristisches staatspolitisches Projekt ist, zu vergleichen. Hier prinzipielle Vergleichbarkeit zu behaupten ist gleichbedeutend mit der Behautung, daß politische Stabilität gleichbedeutend ist mit einem Staatsstreich.
Von Schäuble kommt nichts Konstruktives. Er "stößt Diskussionen an", die der EU/Euro-Staatsstreich, den er selbst betreibt, nicht gebrauchen kann, und er hat keine "Antwort auf seine Frage". Er ist ein kleiner, verbitterter, übellauniger, Möchtegern-Herrscher. Er ist ein eingefleischter Parteienstaat-Manipulant mit Herrschaftsambitionen, der meint, er befände sich in einer hinreichend starken Position, alle anderen vor sich her treiben zu können, indem er zwischen den Möglichkeiten a) und b) hin und her schaltet.
Sind alle anderen auf dem "Immer-engere-Union"-Trip, besteht Herr Schäuble auf "Rechtssicherheit/Regelhaftigkeit". Herrscht Ruhe an der "Rechtssicherheit/Regelhaftigkeit"-Front, geht Herr Schäuble in die "Immer-engere-Union"-Offensive.
Wenn beides legitim ist, a) "Rechtssicherheit/Regelhaftigkeit" und b) "Immer-engere-Union", dann hat ein tyrannischer, rechthaberischer, herrschsüchtiger Unruhestifter/Störenfried immer einen "wunden Punkt". Der Staatsstreichprozess, der von allen Einheits-Europäern gewollt ist, kann beschleunigt oder gebremst werden. Schäuble möchte eben der sein, der das Tempo bestimmt.
Die Macht, die er als deutscher Finanzminister im EU/Euro-Europa ausüben kann, verdankt er nicht sich selbst. Es ist die gute Fee Merkel, die ihn stützt und auf Händen trägt. Merkel/Schäuble ist das Dream-Team des deutschen und europäischen Sozialdemokratismus.
Zu behaupten, der Doppelhut, den Juncker sich aufgesetzt hat, sei nie vorgesehen gewesen, ist Augenwischerei, Selbstbetrug, Realitätsverweigerung. Die Realität ist, daß die "Gestalter" der "Europäischen Einigung" mit genau dieser Schizophrenie leben und Europa und seine Bevölkerung in genau diese Schizophrenie gestürzt sehen wollen. Man kann nicht auf der einen Seite den Posten des Kommissionspräsidenten durch die "Europawahl" legitimieren wollen und auf der anderen Seite beklagen, er habe sich unvorgesehenerweise einen Doppelhut aufgesetzt. Das ist irre.
Schäubles Theorie der Produktivität der Krise, die ganze Theorie des europäischen Fortschritts durch permanenten "Kompromiß" ist geisteskranke Dialektik. Das ist nicht nur politischer Blödsinn und eine betrügerische Herrschaftsmethode; das ist ein Angriff auf die menschliche Natur, ein Angriff auf die menschliche Vernunft.
Bei dem Bestand von EU/Euro geht um den Frieden in Europa? Es geht bei der staatlich erzwungenen "Einigung Europas" nicht um den Frieden. Es geht um das Ausleben sozialdemokratischer Bösartigkeit (Ressentiment gegen die vom Volk bevorzugte bürgerliche Gesellschaft) mit den Mitteln staatlicher Gewalt.
Mag sein, daß gilt: Der Krieg ist zu wichtig, als daß man ihn den Generalen überlassen dürfte.
Mag sein, daß gilt: Der Frieden ist zu wichtig, als daß man ihn den Politikern überlassen dürfte.
Eins aber ist sicher: Krieg und Frieden sind zu wichtig, als daß sie den organisierten Lügnern und Verrätern im Volk, den Sozialdemokraten, überlassen werden dürften.
Nehmt den Sozialdemokraten in Europa die Sache von Krieg und Frieden aus der Hand. Die Frage von Krieg und Frieden gehört in die Hände des Volkes und seiner demokratischen Repräsentanten.


Samstag, der 15. August 2015
 
► Aus einem "welt.de"-Interview mit Volker Kauder (Unionsfraktionschef) mit der Überschrift "Griechenland-Krise / Kauder geht mit Abweichlern hart ins Gericht" (Sonntag, 09. August 2015):
 Anfang Längeres Zitat  Welt am Sonntag: Zuletzt gab es heftige Missklänge. 60 Unionsabgeordnete stimmten dagegen, Griechenland noch einmal Milliardenkredite zu geben.
Kauder: Das akzeptiere ich, auch wenn es nicht leicht ist. Denn auch die 60 haben unserer Fraktionsordnung zugestimmt, in der steht: Wir diskutieren, streiten und stimmen ab, aber am Schluss muss die Minderheit mit der Mehrheit stimmen. Jeder bestimmt selbst, was für ihn eine Gewissensfrage ist. Aber ich werbe dennoch für Geschlossenheit. Das hat auch mit dem Korpsgeist zu tun, den eine gute Truppe haben sollte.
Welt am Sonntag: Mancher Abweichler macht aus seinem Nein ein Geschäftsmodell, hat der CDU-Generalsekretär Peter Tauber geklagt.
Kauder: Das sehe ich nicht so. Ich nehme die Entscheidungen der Kollegen ernst. Aber nicht nur diejenigen, die gegen ihre Fraktion stimmen, treffen eine Gewissensentscheidung. Auch die Abgeordneten, die bei ihrer Fraktion geblieben sind, haben eine Gewissensentscheidung getroffen.
Welt am Sonntag: Hätten Sie es konsequent gefunden, wenn Wolfgang Bosbach seine Ankündigung, von seinem Mandat zurückzutreten, wahrgemacht hätte?
Kauder: Ein Mandat, das man von den Wählern bekommen hat, sollte man ordentlich beenden. Ich persönlich würde niemals erwägen, ein Direktmandat von meinen Wählern aufzugeben. Deshalb finde ich es richtig, dass Bosbach geblieben ist.
Welt am Sonntag: Die Abweichler aus der letzten Legislaturperiode wurden anschließend systematisch von wichtigen Positionen in der Fraktion entfernt. Haben auch die 60, die jetzt Nein sagten, ihre Karrieren zerstört?
Kauder: Mich stört schon der heroische Begriff "Abweichler". Ein Nein ist nicht mehr wert als ein Ja. Und es stimmt nicht, dass die Nein-Sager keine Aufgaben mehr bekämen. Bosbach durfte Vorsitzender des Innenausschusses bleiben.
Aber diejenigen, die mit Nein gestimmt haben, können nicht in Ausschüssen bleiben, in denen es darauf ankommt, die Mehrheit zu behalten: etwa im Haushalts- oder Europaausschuss. Die Fraktion entsendet die Kollegen in Ausschüsse, damit sie dort die Position der Fraktion vertreten.  Ende Längeres Zitat 
► Aus einem "faz.net"-Bericht mit der Überschrift "Ärger über Kauder / «Nur noch Stimmvieh der Parteiführung»" (Montag, 10. August 2015):
 Anfang Längeres Zitat  Mit seinen Äußerungen über Konsequenzen für Abweichler in der Griechenland-Frage hat der Unionsfraktionsvorsitzende Volker Kauder (CDU) einen Sturm der Entrüstung heraufbeschworen ...
... „Eine solche Drohung beeindruckt mich überhaupt nicht“, sagte von Stetten dazu der „Bild“-Zeitung. Zugleich kündigte der Finanzexperte weiteren Widerstand an: „Kein einziges neues Argument für weitere Griechenlandmilliarden ist präsentiert worden“, kritisierte er. Er bleibe selbstverständlich bei seiner ablehnenden Haltung.
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Detlef Seif, Mitglied im Bundestagsausschuss für EU-Angelegenheiten, sagte dem „Tagesspiegel“: „Wenn diejenigen, die in der Unionsfraktion aus gewichtigen Gründen eine abweichende Meinung vertreten, bestraft werden, schadet das dem Klima und der Zusammenarbeit in der Fraktion.“
Der CDU-Abgeordnete Andreas Mattfeldt, der dem Haushaltsausschuss angehört, sprach im „Kölner Stadt-Anzeiger“ von einem „sehr, sehr fragwürdigen Vorgehen“. „Es kann nicht sein, dass man nur noch Stimmvieh der Parteiführung ist“, kritisierte er. Der „Bild“ sagte Mattfeldt, Kauder habe „die Meinungsfreiheit, die im Grundgesetz für Abgeordnete fest verankert ist, mit Füßen getreten“.
Noch schärfere Töne schlug der CDU-Abgeordnete Alexander Funk an. „Die Einlassungen von Volker Kauder sind für jeden Vertreter der parlamentarischen Demokratie erschreckend und beschämend“, sagte Funk der „Bild“. Schon 2013 habe Kauder unliebsame Abgeordnete abgestraft. Jetzt solle diese Methode offenbar zum Prinzip der Unionsfraktion werden.
Der CDU-Abgeordnete Klaus-Peter Willsch, der in der Vergangenheit gegen die Hilfskredite an Griechenland gestimmt hatte und nach der Bundestagswahl 2013 nicht mehr in den Haushaltsausschuss entsandt worden war, sagte „Spiegel Online“ am Sonntag: „Das ist doch wenigstens ein ehrliches Wort! Nach der Neuwahl 2013 wurde immer noch behauptet, unser Rausschmiss aus dem Haushaltsausschuss hätte mit unserem Abstimmungsverhalten nichts zu tun.“  Ende Längeres Zitat 
► "welt.de"-Artikel von Jan Dams und Martin Greive mit der Überschrift "Griechenland / Warum Merkel ihr IWF-Versprechen brechen muss" (Donnerstag, 13. August 2015):
 Anfang Längeres Zitat  Alexis Tsipras steht eine harte Diskussion mit der eigenen Partei bevor. Sollen die Linken von Syriza einem Reformpaket zustimmen, das mindestens so hart ist wie all jene Vorschläge, die sie früher so vehement abgelehnt haben? Oder sollen sie lieber ihrem Premier die Gefolgschaft verweigern, ihren Wahlversprechen treu bleiben und die Regierung damit sprengen?
Es ist eine Frage, die sich in nicht ganz so dramatischer, dennoch ähnlicher Art derzeit der Union im Bundestag stellt. Denn: Die Grundsatzvereinbarung zwischen Griechenland und seinen Gläubigern ist längst nicht so wasserdicht, wie es sich viele in CDU und CSU gewünscht hätten. Vor allem ein Fakt wird den Unionsabgeordneten zu schaffen machen: Die offene Frage, ob und in welchem Umfang der Internationale Währungsfonds (IWF) künftig an diesem Programm teilnimmt.
Bislang war die Sache immer schön geregelt. Der IWF zahlte seinen Teil. Beim zweiten Rettungspaket wären es 16 Milliarden Euro gewesen. Und damit war er mit im Boot. Dieses Mal aber ist alles anders. Die Washingtoner Institution hält sich die Sache offen. Erst im Herbst will sie darüber entscheiden, inwieweit sie sich am dritten Programm beteiligt.
Für Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ist das ein Problem. Denn sie hatte ihren Abgeordneten immer versprochen: ohne IWF kein Programm für Griechenland. Das kann die Bundeskanzlerin nun nicht mehr garantieren. Zumal der Fonds zuletzt erhebliche Bedenken am Vorgehen der Europäer äußerte. Die Experten fordern einen Schuldenschnitt für Athen – also etwas, was die Bundesregierung ablehnt. Der IWF, von Angela Merkel als Unterstützung gegen die Geldforderungen der Griechen in die Euro-Zone geholt, ist auf einmal der potenteste Gegenspieler Merkels. Und dafür gibt es gute Gründe.
Die Sache mit Griechenland ist für den IWF nämlich nicht ganz ungefährlich. Die Griechenland-Rettung ist das größte Programm, das der IWF in seiner Geschichte je eingegangen ist. Und er hat sich keineswegs darum gerissen. Er stieg 2010 auf Bitten der Europäer in die Hellas-Rettung mit ein. Während Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) sich damals sträubte, wollte Kanzlerin Merkel den Fonds aus zwei Gründen unbedingt dabeihaben.
Erstens hatte die europäische Währungsunion damals keinerlei Erfahrung im Umgang mit pleitebedrohten Staaten. Der IWF macht dagegen seit Jahrzehnten kaum etwas anderes, als Sparprogramme für klamme Länder zu konzipieren. Die Erfolge sind international stark umstritten. Aber zweifelsohne hatte der Fonds in Washington eine Expertise, die Europa zu Beginn der Staatsschuldenkrise fehlte. Zweitens hoffte Merkel, den IWF als eine Art Blitzableiter nutzen zu können. Besser, die griechische Bevölkerung projiziere ihren Ärger über harte Einschnitte auf den IWF als auf Deutschland.
Der IWF musste für die Griechenland-Rettung seine Statuten allerdings nicht nur dehnen, er musste sogar die eigenen Regeln brechen. Ob der Fonds Gelder vergibt, hängt davon ab, ob der IWF die Schuldentragfähigkeit des Landes gewährleistet sieht. Deshalb teilt der IWF jedem Mitgliedsland in Abhängigkeit von der jeweiligen Wirtschaftskraft eine gewisse Quote zu.
Die Quote bestimmt, wie viel Beiträge ein Land an den IWF zahlt – und in welcher Höhe es Kredite vom IWF erhalten kann: maximal 600 Prozent der Quote. Ist ein Land zu tief verschuldet, darf der IWF den eigenen Regeln zufolge gar kein Geld verleihen. Im Falle Griechenland aber hat der Fonds auf Druck der Europäer und der Amerikaner mehr als ein Dreifaches der erlaubten Summe als Kredit vergeben: 1860 Prozent.
Der IWF rechtfertigte die Regeländerung so: Eine Pleite Griechenlands drohe die gesamte Euro-Zone in Gefahr zu bringen und damit das weltweite Finanzsystem an den Rand des Zusammenbruchs. In so einer Notsituation seien Regeländerungen erlaubt.
Das kam innerhalb des IWF allerdings nicht nur gut an. Warum soll etwa das arme Simbabwe für das vergleichsweise reiche Griechenland so viel Geld zahlen, fragen sich nicht wenige IWF-Mitgliedsstaaten? Besonders die großen Schwellenländer rebellierten. Der Brasilianer Paulo Nogueira Batista, der im IWF-Direktorium elf Länder Lateinamerikas vertritt, erklärte, der IWF habe die Regeländerung "heimlich" durchgezogen.
Der Ärger ist bis heute nicht verraucht. Die Schwellenländer sehen weitere IWF-Hilfen für Griechenland nach wie vor kritisch. Dies ist ein Grund, warum der IWF heute so vehement auf einen Schuldenschnitt für Griechenland pocht. Würde der IWF die eigenen Regeln weiter strapazieren, würde er noch mehr Ärger in den eigenen Reihen riskieren.
Der zweite Grund sind ökonomische Gesetzmäßigkeiten, die der IWF bei Griechenland sieht. In seiner jüngsten Schuldentragfähigkeitsanalyse kommt der Fonds zu einem klaren Ergebnis: Allein durch Wachstum wird Griechenland seinen Schuldenberg nicht abbauen können. Athen war zwar bis Ende vergangenen Jahres auf einem guten Weg. Der Schuldenstand wäre gemessen an der Wirtschaftsleistung von heute 175 Prozent bis zum Jahr 2022 auf 117 Prozent gefallen, wenn alles glattgelaufen wäre. Griechenland könnte seine Ziele sogar übererfüllen, hieß es noch in einer IWF-Analyse im Mai vergangenen Jahres.
Dann aber kam Syriza gut ein halbes Jahr später an die Macht. Das damit einhergehende Chaos führte zu großer Verunsicherung. Die Banken wurden zwangsgeschlossen, Kapitalverkehrskontrollen eingeführt. Die Wirtschaft wuchs nicht mehr, sie schrumpfte. Der Haushaltsüberschuss verwandelte sich in ein Haushaltsdefizit. Damit wuchs auch der Schuldenberg wieder.
Laut neuester IWF-Prognose droht die Schuldenquote Griechenlands in Richtung 200 Prozent zu klettern. Zu diesem Ergebnis kommt auch eine neue Schuldentragfähigkeitsanalyse der europäischen Institutionen aus EU, dem Rettungsschirm ESM und der Europäischen Zentralbank (EZB), die der "Welt" vorliegt. Demnach wird der Schuldenstand Griechenlands im Jahr 2016 auf 201 Prozent steigen.
Der IWF ist daher überzeugt: Solch einen hohen Schuldenberg kann Griechenland ohne einen Schuldenerlass nicht dauerhaft schultern. "Griechenland kann keine nachhaltige Position erlangen ohne einen Schuldenschnitt", sagt ein IWF-Offizieller. Und ohne einen Schuldenschnitt dürfe sich der IWF nicht an einem Rettungsprogramm beteiligen.
Dass der Fonds sich mit seiner Entscheidung bis Oktober Zeit lassen will, stürzt Merkel in Erklärungsnot. Sie lehnt den vom IWF so vehement geforderten Schuldenschnitt ebenso vehement ab, hat sie ihren Wählern doch versprochen, die Griechenland-Rettung werde sie nichts kosten. Gleichzeitig braucht sie unbedingt eine IWF-Beteiligung an dem Rettungsprogramm, um ihre eigenen Reihen zu befrieden.
Denn viele Abgeordnete in CDU/CSU wollen den IWF unbedingt an Bord haben, machen davon ihre Zustimmung abhängig. Die EU-Kommission ist in ihren Augen völlig politisiert. Auch die Europäische Zentralbank hat ihre eigenen Interessen. Für viele in der Union ist der IWF der einzige Garant dafür, dass ein Hellas-Reformprogramm anspruchsvoll ist und die Umsetzung der Reformen genau kontrolliert wird. "Aus unserer Sicht ist wichtig, dass der IWF mit an Bord bleibt", sagte Finanzstaatssekretär Jens Spahn (CDU) dem Deutschland-Radio.
Nun aber werden die Unionsabgeordneten in der kommenden Woche wohl über ein Rettungspaket abstimmen, ohne zu wissen, ob der IWF mit dabei ist. Die Bundesregierung versucht zwar, Druck aufzubauen. Sie fordere bereits jetzt ein klares Bekenntnis des IWF, "dass es eine gemeinsame Bewertung gibt und wir diesen Weg gemeinsam gehen", sagte Spahn.
Doch ohne die Klärung, ob ein Schuldenschnitt infrage kommt oder nicht, dürfte der IWF sich darauf nicht einlassen. Heißt: In der Unionsfraktion wird es bei einer Abstimmung im Bundestag wohl noch mehr Abweichler geben als bei der letzten Griechenland-Abstimmung, bei der schon 65 Abgeordnete Merkel die Gefolgschaft verweigerten.
Die echte Debatte über einen Schuldenschnitt droht dann im Herbst hochzukochen. Ein möglicher Kompromiss könnte so aussehen: Wenn Griechenland seine Reformen wie versprochen umsetzt, bekommt es noch in diesem Jahr günstigere Zinsbedingungen und weitere Laufzeitverlängerungen bei den Hilfskrediten. Das wäre eine Art Schuldenschnitt durch die Hintertür. Die europäischen Institutionen fordern dies in ihrem neuen Papier. Sie schlagen darin eine Verlängerung der Kreditlaufzeiten sowie ein längeres Aussetzen bei der Rückzahlung von Krediten vor. "Diese Kombination würde Griechenland Schulden auf ein nachhaltiges Level bringen", heißt es in dem Dokument.
Möglich wäre auch, dass die internationalen Geldgeber darüber hinaus Griechenland einen weiteren Schuldenerlass in beispielsweise zwei Jahren in Aussicht stellen, sollte Griechenland bis dahin alle Reformzusagen einhalten. Die Frage ist allerdings, ob dem IWF dies reicht, um sich noch einmal an einem Hilfsprogramm zu beteiligen.  Ende Längeres Zitat 
► Aus einem "sueddeutsche.de"-Kommentar von Nico Fried mit der Überschrift "Griechenland-Krise / Merkel muss Schäubles Vertrauen zurückgewinnen" (Donnerstag, 13. August 2015):
 Anfang Längeres Zitat  ... Unter Merkel, insbesondere in der großen Koalition, können Abgeordnete in Fraktionsstärke gegen die Regierung stimmen, und es ändert sich erst einmal nichts an den tatsächlichen Machtverhältnissen. Deshalb ist Merkel auch bei 60 Nein-Sagern in der Griechenland-Politik noch weit von einer Vertrauensfrage entfernt. Und auch bei 70 wäre sie es noch ...
Was der Kanzlerin im Großen einstweilen erspart bleibt, kommt freilich in den nächsten Tagen im Kleinen gleich mehrfach auf sie zu: die Frage nach dem Vertrauen - quasi en détail. Dem Vertrauen zwischen Kanzlerin und Finanzminister zum Beispiel. In die Sommerpause gingen Angela Merkel und Wolfgang Schäuble mit einem offenen Dissens in der Griechenland-Politik hinein. Die Kanzlerin wollte darüber damals nicht weiter reden und sagte, man müsse nach vorne schauen. Nach vier Wochen ist nun vorne, aber manches sieht wieder aus wie hinten.
Wolfgang Schäuble ist nicht nur Merkels wichtigster Minister, sondern auch der einzige, der nicht auf sie angewiesen ist; was man umgekehrt nicht ganz so einfach sagen kann. Schäuble ist der einzige Unions-Politiker, der mit einer gewissen Aussicht auf Erfolg zur Revolte gegen Merkel aufrufen könnte, wenn er wollte, was er aber nicht will ...
Nach einer Zustimmung der Euro-Finanzminister zum dritten Hilfsprogramm für Griechenland ... muss auch der Bundestag darüber entscheiden. Spätestens vor dieser Sitzung wird Merkel auch sagen müssen, wie es um ihr Vertrauen in Fraktionschef Volker Kauder steht. Übergeht sie seine schroffe Warnung an die Nein-Sager und die harte Kritik, die er einstecken musste, setzt sie sich leicht dem Vorwurf aus, Kauder jene Loyalität zu verweigern, die er ihr seit Jahren fast bis zur Selbstaufgabe erwiesen hat. Nimmt sie ihn aber zu sehr in Schutz, degradiert sie Kauder zu einem Fraktionschef von ihren Gnaden.
Ach ja, und dann ist da noch die Sache an sich, Griechenlands Zukunft. Egal, wie hart die Auflagen und egal, wie streng die Kontrollen ihrer Umsetzung sein werden: Wenn es ein drittes Hilfspaket gibt, genießt in Person von Alexis Tsipras ein linker Regierungschef, der noch dazu mit einer Wahlkampagne gegen Merkel an die Macht kam, einen Vertrauensvorschuss der Kanzlerin, von dem andere nur träumen können. Sachen gibt's.  Ende Längeres Zitat 
► Aus einem "n-tv.de"-Video mit der Überschrift "Drittes Hilfspaket für Griechenland / Schäuble zeigt vorsichtigen Optimismus" (Samstag, 15. August 2015):
 Anfang Längeres Zitat  Griechenland hat sich nach langem Ringen auf ein drittes Reformpaket geeinigt - damit ist der Weg frei für neue Hilfsmilliarden. Sogar Berufsskeptiker Wolfgang Schäuble zeigt sich vorsichtig optimistisch - die Lage habe sich gegenüber Juli "völlig verändert".
...
NTV-SPRECHER: Mit dem Rettungspaket würden weitere Mittel der Steuerzahler in ein Faß ohne Boden geschüttet, kritisiert dagegen Ifo-Chef Sinn in der Bild-Zeitung. Kritik, die Schäuble kalt läßt:
O-TON UND BILD SCHÄUBLE: Ökonomisch können Sie und rechtlich können Sie vieles in der einen Richtung sagen, aber politisch können Sie vieles in die andere Richtung sagen. Dazwischen müssen Sie eine vernünftige Lösung machen, die am Ende dazu führt, daß Europa stärker wird ...
NTV-SPRECHER: Eine Philosophie, von der IWF-Chefin Lagarde noch überzeugt werden will ...  Ende Längeres Zitat 
► Aus einem "faz.net"-Bericht mit der Überschrift "Schuldenkrise in Griechenland / Hilfspaket beschlossen – und nun?" (Samstag, 15. August 2015):
 Anfang Längeres Zitat  Erst das griechische Parlament und dann die Finanzminister der Euroländer haben am Freitag den Weg frei gemacht für ein drittes Griechenland-Hilfsprogramm. Zustimmen müssen in der kommenden Woche noch einige nationale Parlamente. Der Bundestag wird am Mittwoch zusammenkommen und entscheiden - eine Zustimmung gilt in allen Fällen als sicher. Insgesamt hat das Programm ein Volumen von 86 Milliarden Euro und eine Laufzeit von drei Jahren. Danach, schätzen die Fachleute der Gläubiger, ist das Land wirtschaftlich so weit stabilisiert, dass es alleine zurechtkommt.
... wie geht es in den kommenden Wochen weiter?
... Macht der Internationale Währungsfonds weiter mit? Das ist sehr wahrscheinlich, aber zumindest offiziell noch nicht sicher. IWF-Chefin Christine Lagarde hat sich während des Euro-Finanzministertreffens nicht festgelegt. Der Währungsfonds stellt mehrere Bedingungen: Er verlangt eine umfangreiche Reform des griechischen Rentensystems. Und er fordert von den übrigen Euroländern weitere Schuldenerleichterungen für Hellas. Lagarde hat in einer Stellungnahme am Freitag klargemacht (hier im Wortlaut, auf Englisch), dass ihrer Ansicht nach Griechenland seine Schulden auch mit der Vereinbarung nicht alleine abtragen kann. Der IWF darf sich deswegen nach seinen Regeln derzeit nicht finanziell an dem Hilfsprogramm beteiligen. In den kommenden Wochen fließt darum erst einmal kein weiteres Hilfsgeld aus Washington.
Allerdings ist gleichwohl wahrscheinlich, dass sich der IWF auch beim neuen Hilfsprogramm engagiert. Die Euro-Finanzminister haben beschlossen, dass sie ihn auch als Kreditgeber beteiligt wissen wollen; gerade für Deutschland ist das ein wichtiges Anliegen. Und sie haben schon signalisiert (auch Deutschland), zu weiteren Schuldenerleichterungen für Griechenland bereit zu sein. Als Zeitpunkt gilt die erste Überprüfung des neuen Reformprogramms, die wohl ebenfalls im Oktober sein wird. Verläuft sie erfolgreich, dürften abermals Kreditlaufzeiten und Zinsen verringert werden - einen nominalen Schuldenschnitt schließen die Euroländer aus. Es spricht viel dafür, dass dies dem Währungsfonds reicht, um die griechischen Schulden als tragfähig anzusehen. Nicht nur, weil Schuldentragfähigkeit ein beinahe beliebig interpretierbarer Begriff ist gerade wenn es um Staaten geht und staatliche Kreditgeber. Häufig vernachlässigt wird auch, dass im Währungsfonds die Vereinigten Staaten und die Europäer die Mehrheit der Stimmen haben und beide daran interessiert sind, dass das neue Hilfsprogramm auf den Weg kommt. Gleichwohl dürfte die IWF-Frage gerade medial und innenpolitisch in Deutschland noch ein paar größere Wellen schlagen.
... Das Vertrauen kehrt zurück, aber wie stabil ist die griechische Regierung? Sowohl in der offiziellen Stellungsnahme der Euro-Finanzminister als auch in der anschließenden Pressekonferenz des Eurogruppen-Chefs Dijsselbloem fiel eines auf: Die Atmosphäre zwischen den Gläubigern und der griechischen Regierung hat sich wohl merklich verbessert. Das in den vergangenen Monaten verlorengegangene Vertrauen nach den vielen Volten zumal des früheren Finanzminister Giannis Varoufakis kehrt offenbar langsam zurück. Besonders die eher zurückhaltende und sachliche Art des neuen griechischen Kassenwartes Euklid Tsakalotos kommt gut an, wie sogar der kritische deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble anmerkte. Euro-Rettungsfonds-Chef Klaus Regling sprach gar davon, die Zusammenarbeit in den letzten Wochen sei „exzellent“ gewesen. Das hilft natürlich. Denn am Ende steht und fällt der Erfolg des neuen Programms damit, wie bestimmt und engagiert die griechische Führung es umsetzt.
Und gerade hier ist zumindest kurzfristig wieder eine gewisse Unsicherheit entstanden: Denn auch in der Abstimmung im griechischen Parlament in der Nacht von Donnerstag auf Freitag hatte Regierungschef Alexis Tsipras wieder keine eigene Mehrheit zustandegebracht, sondern war auf die Stimmen der pro-europäischen Oppositionsparteien angewiesen. Das ist kein dauerhafter Zustand, und sogleich machten Spekulationen die Runde, er könne kommende Woche schon die Vertrauensfrage stellen und vielleicht eine Neuwahl herbeiführen. Unwahrscheinlich ist das nicht. Allerdings gerade deshalb, weil ihm ein zeitnaher Urnengang aus mehreren Gründen nutzen dürfte: Er ist nach wie vor beliebt und sollte eine neue Wahl wieder gewinnen. Zugleich kann er aufgrund des griechischen Wahlrechts die Liste alleine aufstellen und so parteiinterne Widersacher aus seiner Fraktion entfernen. Deswegen dürfte eine abermalige Wahl nicht wirklich eine Hürde für ein erfolgreiches Programm sein. Sondern vielmehr die Frage, ob sich Tsipras nun nachhaltig zum Modernisierer seines Landes aufschwingt oder nicht ...  Ende Längeres Zitat 

"In so einer Notsituation ... Regeländerungen erlaubt?"
Der Krebs der sozialdemokratischen Recht- und Regellosigkeit, von dem das EU/Euro-Gebilde bereits irreversibel innerlich zerfressen, zersetzt und zerrüttet ist, greift mit dem Transmissionsriemen IWF nun auch auf das globale Vertrags- und Rechtssystem über. Für die Euro-Rettung bricht auch der IWF
Startseite / Inhaltsverzeichnis / Vorige Seite / Nächste Seite / SEITENANFANG